(„Kūchū Buranko“ directed by Kenji Nakamura, 2009)
Die Methoden des Psychiaters Dr. Ichiro Irabu mögen ein klein wenig unorthodox sein, doch der Erfolg gibt ihm recht, immer mehr Leute kommen zu ihm weil sie mit ihrem Leben nicht mehr klarkommen. Die Lösung? Mit Hilfe von Spritzen, die seine Patienten in Tiere verwandeln, taucht er tief ein in die Psyche der anderen, kramt nach unverarbeiteten Traumata und holt dabei so manches düstere Geheimnis hervor.
Nachdem Kenji Nakamura 2007 mit seiner ersten Serie Mononoke eine visuell wie inhaltlich einzigartige Neuinterpretation klassischer japanischer Horrorgeschichten geglückt war, durfte man schon neugierig sein, was der Regisseur wohl als nächstes in Angriff nehmen würde. Rund zwei Jahre später war die Antwort da, und sie fiel nicht minder ungewöhnlich aus. Tatsächlich blieb er auch hier noitaminA treu, Welcome to Irabu’s Office war nach Tokyo Magnitude 8.0 der 17. Beitrag des alternativen Animeblocks.
Als Quelle diente ihm diesmal eine Reihe von Kurzgeschichten des japanischen Autors Hideo Okuda, die er über den eigenwilligen Dr. Irabu geschrieben hatte. Mehrere Realverfilmungen hatte es zuvor bereits gegeben, allein der zweite Band „Kūchū Buranko“ – welcher auch die Vorlage für die Animeserie war – war zu dem Zeitpunkt bereits zweimal adaptiert worden. Als wollte er sich von seinen Kollegen dann wenigstens optisch abheben, wählte er für die Umsetzung auch dieses Mal einen visuell einmaligen Stil. Oder besser: eine einmalige Stilmischung.
Tatsächlich kombinierten er und das ehrwürdige Animationsstudio Toei Animation (Dragon Ball, Sailor Moon) klassische Zeichentricksequenzen mit Realaufnahmen, die durch Rotoskopie und andere Kniffe verfremdet wurden. Und als wäre das nicht genug, tauchte er die Szenerie in die knalligsten Farben, die er finden konnte, die Geschichten seiner Patienten gleichen psychedelischen Trips, bei denen Anzeichen von Normalität spätestens mit Einsetzen des Vorspanns in grellen Pop-Art-Spielereien ein vorzeitiges Ende finden. Während wir so die Charaktere näher kennenlernen, regnet es schon mal lilafarbene Federn vom Himmel, ein Mann mutiert zu einem Chamäleon, namenlose Randfiguren werden zu 2D-Papiermännchen reduziert. Dieses lustvolle Experimentieren ähnelt dem in Mind Game, ist anfangs gewöhnungsbedürftig, wenn nicht gar etwas anstrengend, aber ungemein faszinierend.
Angesichts einer solch hemmungslos kreativen Verpackung, liegt der Verdacht nahe, Welcome to Irabus’s Office wäre ein Fall für Style over Substance. Tatsächlich hat die Serie aber auch inhaltlich einiges zu bieten. Verborgen hinter seltsamen Bildern und grotesken Übertreibungen findet der Zuschauer erstaunlich glaubwürdige Charaktere, die aus den verschiedensten Gründen in Lebenskrisen geraten oder an bestimmten Situationen verzweifeln. Das können mal Schlaflosigkeit sein, Handysucht, Angstzustände oder auch Zerstörungswut, mit vielem hier wird man sich irgendwo identifizieren können. Und während Ibaru über Hintergründe und Therapiemöglichkeiten sinniert, taucht immer aus dem Nichts ein tatsächlicher Arzt namens Fukuitchi auf und erklärt dem Zuschauer, worum es sich bei der Krankheit wirklich handelt. In solchen Momenten kommt zum reinen Unterhaltungsfaktor noch Wissensvermittlung hinzu, der Anime ist auf einmal erstaunlich nahe an Edutainment-Kollegen wie Es war einmal … das Leben.
Die elf Episoden sind dabei weitestgehend unabhängig voneinander, wobei es immer wieder Überschneidungen gibt: Alle Fälle spielen in demselben Zeitraum 17. vom bis 24. Dezember und laufen parallel. Dadurch kann es vorkommen, dass die Ereignisse einer Folge woanders wieder aufgegriffen werden oder manches Detail anderer Geschichten vorwegnehmen. Wie bei vergleichbaren Episodenfilmen ist das Gefühl der Befriedigung groß, wenn eine zunächst willkürliche Szene später einen Kontext bekommt, man Situationen und Figuren wiedererkennt. Zu mögen gibt es also einiges an Welcome to Irabu’s Office, vielleicht auch zu lieben. Aber auch ein bisschen was zu kritisieren.
Während die größtenteils nachvollziehbaren Schicksale der Patienten interessant und zuweilen bewegend sind, ist der komische Teil nicht ganz so sehr geglückt, immer wieder kratzen die ständigen Wiederholungen und der überdrehte, kaum greifbare Irabu am eigenen Nervensystem. Über diesen speziellen japanischen Humor muss man also schon hinwegsehen können, am besten ihn sogar schätzen. Aber selbst wer das nicht kann, wird in der Praxis des sonderbaren Psychiaters eine Menge lohnenswerter (Sinnes-)Erfahrungen sammeln. Leider wurde die Serie offiziell nie in Deutschland veröffentlicht, tatsächlich ist die einzige DVD-Fassung mit einer westlichen Sprache in Australien erschienen. Wer den Anime nicht importieren kann oder will, findet aber im Internet eine Alternative: Welcome to Irabu’s Office wird kostenlos und legal auf der Streamingseite Viewster übertragen – und zumindest eine Folge sollte sich jeder Animationsfan einmal angesehen haben. Vergessen wird er den Anblick so bald nicht mehr.
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