(„A Most Violent Year“ directed by J. C. Chandor, 2014)
Nur eine Sache hat der in die USA eingewanderte Abel Morales (Oscar Isaac) immer gefürchtet: eine Niederlage. Verbissen kämpft er seit Jahren darum, in New York ein Heizöl-Imperium aufzubauen und schreckt nicht davor zurück, massiv um die Kunden seiner Konkurrenz zu werben. Die ist wenig von dem zielstrebigen Ehrgeizling begeistert, immer häufiger kommt es zu brutalen Überfällen auf Abels Tanktransporter. Aber auch seine Familie wird inzwischen bedroht, was zu großen Konflikten mit seiner Frau Anna (Jessica Chastain) führt. Und dann fängt auch noch der unbarmherzige Staatsanwalt Lawrence (David Oyelowo) an, gegen ihn zu ermitteln – ausgerechnet kurz bevor er ein lang vorbereitetes Geschäft abschließen kann, das ihm zu einer mächtigen Position verhelfen soll.
New York, die Stadt der Neurotiker, der großen Künstler, der schwärmerischen Liebenden … aber auch die Stadt der skrupellosen Gangster. Kaum ein Ort dürfte in Filmen wohl ähnlich oft als Sinnbild für Korruption und Gewalt hergehalten haben wie der Big Apple. Ganz besonders schlimm muss es wohl Anfang der 80er gewesen sein, zumindest wenn es nach J. C. Chandor geht, der die historische Kulisse als Schauplatz für einen packenden Kampf wählt, bei dem gut und böse nicht immer klar auseinanderzuhalten sind.
Es gibt nicht immer einen richtigen Weg, erklärt Abel irgendwann Lawrence, wohl aber einen richtigsten. Und dieser sei es, den er verfolgt. Mit diesem kleinen Dialog fasst Chandor die moralische Ambivalenz des Films zusammen, die nur Abstufungen kennt, aber keine Totalen. Abel versucht zwar einen anderen Weg zu gehen als sein Schwiegervater, von dem er das Geschäft übernommen hat. Und auch von den kriminellen Machenschaften seiner Kollegen distanziert er sich. Ansonsten aber kämpft er mit harten Bandagen, verwehrt sich auch psychologischen Tricks nicht, um neue Kunden abzuluchsen, ist selbstgerecht und kompromisslos, egal ob bei Feind oder Freund, Konkurrenz oder Familie. Und auch die anderen vermeintlich guten wie Anna oder selbst Lawrence wissen genau, wie das Spiel funktioniert, wann man zuzugreifen hat, wann wegzuschauen.
Doch auch wenn A Most Violent Year keine Helden hervorbringt, keine Vorbilder oder Identifikationsfiguren, nicht einmal tatsächliche Sympathieträger, bleibt man gespannt die vollen zwei Stunden vor dem Bildschirm kleben. Dabei braucht Chandor nicht einmal große Actionszenen – die gibt es, sind aber eher selten. Oft sind nicht einmal wirkliche Dialoge notwendig, viel wird schon durch die dreckig-düstere 80er-Jahre-Atmosphäre im winterlichen New York erzählt, durch die freudlosen und bedrückenden Farben.
Aber der Amerikaner kann wie schon in seinen vorherigen beiden Filmen Der große Crash – Margin Call und All Is Lost auf hochkarätige Darsteller bauen. Die größte Bühne gehört natürlich Oscaar Isaac (Inside Llewyn Davis, Ex Machina), der erneut sein Faible für leicht zwiespältige Charaktere zeigt, seine Rolle mit einer Mischung aus Charme, Härte und Arroganz ausfüllt. Ihm zur Seite steht Jessica Chastain (Zero Dark Thirty, Interstellar) als eine Art Gangsterbraut, die sich größtenteils zwar im Hintergrund aufhält, im geeigneten Moment aber auch einiges zu sagen hat und deren Konflikte mit ihrem Ehemann zu den intensivsten Szenen des Films gehören. Lediglich bei den Nebenfiguren hätte man sich ein bisschen mehr Liebe zum Detail gewünscht, gerade der als Handlungsträger so wichtige Fahrer Julian (Elyes Gabel) wirkt nur halbfertig, Lawrence und Abels Geschäftspartner Andrew (Albert Brooks) sind auch eher konturlos. Doch auch wenn hier und an anderen Stellen nicht alles ganz zu Ende erzählt wird, spannend ist die Mischung aus Drama und Thriller, noch dazu ein Lehrstück über Moral und die Schattenseiten von Ehrgeiz.
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