(„Boy7“ directed by Özgür Yıldırım, 2015)
Wo bin ich hier? Was mache ich hier? Wer bin ich überhaupt? Völlig ohne Erinnerungen wacht ein junger Mann (David Kross) in einer U-Bahn-Station auf, irrt ziellos umher auf der Suche nach Antworten, verfolgt von der Polizei. Erst ein in einem Restaurant deponiertes Tagebuch, welches er zuvor vorausschauend dort versteckt hatte, verrät ihm, dass er Sam heißt und Teil eines Resozialisierungsprogramms war. Und auch die junge Frau (Emilia Schüle), welche kurz nach ihm dort hereinstürmt, scheint mit diesem zusammenzuhängen, wurde jedoch ebenfalls ihres Gedächtnisses beraubt. Gemeinsam müssen sie nun versuchen, die Wahrheit herauszufinden, was passiert ist und wie sie an diesen Ort gelangt sind.
Schon wieder ein dystopisch angehauchter Film mit jugendlichen Protagonisten, der auf einem Buchbestseller basieren soll? Wer nicht zur ursprünglichen Zielgruppe gehört, dürfte bei den seit Die Tribute von Panem wie Pilze aus dem Boden sprießenden Genrekollegen schon längst den Überblick verloren haben, zu groß ist deren Anzahl inzwischen. Wenn dann ein neuer Vertreter in die Kinos kommt, der auch noch rein europäischen Ursprungs ist – die Vorlage bildet der gleichnamige Roman der Niederländerin Mirjam Mous, der Film ist eine deutsche Produktion – dürften bei den Vorabreaktionen von Langeweile über Skepsis bis zur Neugierde so ziemlich alles dabei sein.
Eines vorweg: Nein, natürlich kann Boy 7 optisch nicht mit den Kassenschlagern aus den USA mithalten. Aber fair wäre dieser Vergleich auch nicht, Mockingjay – Teil 1 standen 125 Millionen zur Verfügung, Die Bestimmung – Insurgent 110 Millionen, bei Hüter der Erinnerung und Maze Runner immerhin noch um die 30 Millionen. Özgür Yıldırım bekam hier hingegen gerade einmal rund 2 Millionen zusammen – dass das keine tolle Voraussetzung für ein technisches Feuerwerk ist, ist klar. Und doch hat diese unfreiwillige Sparsamkeit auch etwas Gutes: Wo kein Geld für Tricks ist, muss eben außerhalb der gewohnten Bahnen gedacht werden.
Interessant ist beispielsweise die Einstiegssequenz, wenn David Kross mit einer mobilen Kamera präpariert durch die U-Bahn-Gänge rennt und stolpert, wir nicht einmal wissen, in welchen Körper wir geschlüpft sind. An der Stelle erinnert der Film an Ego-Shooter aus dem Computerspielbereich, an den verstörenden Slasher Alexandre Ajas Maniac, manche werden vielleicht auch an das Musikvideo von „Smack My Bitch Up“ der Elektro-Pioniere The Prodigy denken. Und auch sonst ist die Low-Budget-Produktion kreativ, oft auch temporeich inszeniert, zeigt dass Geld in diesem Bereich zwar vieles, aber doch eben nicht alles ist.
Zweite Stärke ist die Besetzung, vor allem das engagiert auftretende Duo Kross/Schüle muss sich nicht hinter der internationalen Konkurrenz verstecken, weder wenn die Thrillerelemente noch die des Coming-of-Age-Dramas im Vordergrund stehen. So richtig interessant sind die Figuren dennoch nicht, vieles ist hier zu schematisch, manches auch zu überzogen. Wenn Jens Harzer etwa den sadistischen Aufseher Isaak gibt, ist das zwar beeindruckend gespielt, aber aufgrund des mangelnden Tiefgangs auch recht nahe an einer Karikatur. Allgemein sollte man nicht zu viel von der zwar gesellschaftskritisch angehauchten, insgesamt recht simplen Geschichte erwarten, die großen Überraschungen bleiben aus. Dennoch ist es schön, dass man sich hierzulande einmal dieses Genres angenommen hat, trotz des Gegenwindes seitens der Finanzierer und des Publikums, und dabei eine mehr als ordentliche Pionierleistung gebracht hat. Wenn Boy 7 eines zeigt, dann das das Talent für derlei Filme hier durchaus vorhanden ist, es beim nächsten Mal nur noch etwas mehr Geld und einer interessanteren Geschichte braucht.
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