(„Copenhagen“ directed by Mark Raso, 2014)
Viele Erinnerungen hat der Amerikaner William (Gethin Anthony) nicht an seinen Vater, hat dieser seine Familie doch schon vor vielen Jahren verlassen. Und nun, da er tot ist, bleibt dem 28-Jährigen nichts übrig, als seine Wurzeln woanders zu suchen – was ihn nach Kopenhagen führt, der Geburtsstadt seines Vaters. Williams ursprünglicher Plan, mit seinem besten Freund Jeremy (Sebastian Armesto) die Stadt unsicher zu machen, scheitert, als dieser seine von William verhasste Freundin mitbringt. Allein in der Fremde lernt der frustrierte Hitzkopf die junge Effy (Frederikke Dahl Hansen) kennen, die ihm nach anfänglichen Auseinandersetzungen verspricht, Kopenhagen zu zeigen und gemeinsam seinen noch immer dort lebenden Großvater zu suchen.
Sag mir, woher du kommst, und ich sag dir, wer du bist! Die Diskussion, wieviel in uns angeboren, wieviel durch unsere Herkunft bestimmt ist, ist so alt wie die Überlegung über die menschliche Persönlichkeit an sich. Was aber, wenn unsere Herkunft unvollständig ist, sie fehlt, weil der Vater einen verlassen hat (William) oder früh gestorben ist (Effy)? Ein Wunder ist es nicht, dass die beiden so schnell zueinander finden, sind sie doch beide auf der Suche nach sich selbst, ohne tatsächliche Orientierungspunkte und im Fall von Effy auch noch in einer ohnehin komplizierten Lebensphase. Ohne diese Gemeinsamkeit, kaum vorstellbar, dass sie so viel Zeit miteinander verbringen sollten, zu groß sind die Unterschiede im Charakter und natürlich auch dem Charakter. Aber selbst mit diesem einenden Hintergrund ist oft nicht ganz klar, wie es das junge Mädchen mit dem rastlosen und oft boshaften Fremden aushält.
Nun wird das Bild des mürrischen, zu Liebe unfähigen Mannes immer mal wieder in Filmen bemüht, der durch außen eine Läuterung erfährt – zuletzt etwa in St.Vincent. Bei Copenhagen ist das etwas anders, auch wenn es zunächst danach aussieht, zum einen weil William mit seinen 28 Jahren zu jung ist für die archetypische Figur des Griesgrams, gleichzeitig aber zu alt, um mit der 14-jährigen Effy anzubändeln. Gespielt wird mit der problematischen, weil höchst illegalen Idee einer Beziehung zwischen den beiden durchaus, ohne ihr dann aber nachzugehen. Die klassischen Elemente einer Romanze in der fremden Stadt werden aufgegriffen, gerade auch während der schön bebilderten Szenen, wenn das Duo in Kopenhagen unterwegs ist, am Ende aber doch wieder fallen gelassen.
Allgemein zeigt Regisseur und Drehbuchautor Mark Raso in seinem Langfilmdebüt eine Vorliebe dafür, Genrekonventionen abzuwandeln und Erwartungen nicht zu erfüllen. Mit unterschiedlichem Ergebnis. So ist es durchaus erfrischend, dass man hier nie so genau weiß, was nun als nächstes passiert, eingeschlagene Wege abrupt wieder verlassen werden. Manchmal hat dies jedoch eine mangelnde Glaubwürdigkeit zur Folge, wenn Dialoge und Handlungen kaum nachvollziehbar sind, die Geschichte zu konstruiert wird oder die einzelnen Szenen etwas wahllos miteinander verbunden wirken.
Sehenswert ist Copenhagen aber selbst mit diesen kleinen Irrfahrten, da der Film sich eben nicht auf bewährten Pfaden ausruht, sondern einen Weg sucht, der genauso verworren und kompliziert wie das Leben ist. Der bei aller Neigung zur Verträumtheit dann doch näher an unserem Alltag ist als viele ähnlich gelagerte Werke, der sich auch nicht vor hässlichen Aspekten drückt. Gut gespielt ist das darüber hinaus: Gethin Anthony gibt wunderbar den verkorksten, nicht immer liebenswürdigen Protagonisten, Frederikke Dahl Hansen die schwärmerische, manchmal auch patzige Schülerin, die erst noch dabei ist, die Komplexität der Welt zu erkennen. Freunden von leiseren Geschichten, irgendwo zwischen Coming-of-Age, Komödie und Romanze angesiedelt, dürfen sich deshalb freuen, dass die internationale Koproduktion unlängst ihren Weg hierher gefunden hat.
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