(„Still Alice“ directed by Richard Glatzer, Wash Westmoreland, 2014)
Zuerst sind es Worte, die ihr nicht mehr einfallen, Zutaten eines Rezepts: Doch je mehr sich diese kleinen Vergesslichkeiten häufen, umso besorgter ist Alice Holland (Julianne Moore) – schließlich war für die anerkannte Sprachwissenschaftlerin die Möglichkeit der Kommunikation ein integraler Bestandteil ihres Lebens, ja, ihrer Identität. Ein Besuch beim Neurologen bringt die schreckliche Gewissheit, Alice leidet an einer seltenen Form von Alzheimer. Und das hat nicht nur beruflich Folgen für die Dozentin, auch für ihren Ehemann John (Alec Baldwin) und die drei erwachsenen Kinder Anna (Kate Bosworth), Tom (Hunter Parrish) und Lydia (Kristen Stewart) ändert sich damit einiges.
Sie hätte lieber Krebs statt Alzheimer, sagt Alice an einer Stelle und macht damit deutlich, wie sehr wir uns damit identifizieren, sprechen zu können, uns zu erinnern. So schlimm es auch ist, wenn uns der Körper im Stich lässt, wir an irgendeiner Krankheit zugrunde gehen, so haben wir doch immer noch unsere Persönlichkeit, an die wir uns klammern können. Bricht das weg, gehen wir in uns selbst verloren.
Damit einher gehen für den Zuschauer eine Reihe spannender, höchst unbequemer Fragen. Wie gehe ich damit um, wenn sich mein Geist langsam auflöst? Was tun, wenn dies einen engen Angehörigen betrifft? Ist ein solches Leben unbedingt lebenswert? Was, wenn ich weiß, dass mein ungeborenes Kind an dieser Form leiden wird? Behalte ich es? Nein, von einem Feelgood-Film ist das Drama Still Alice, das auf dem gleichnamigen Roman von Lisa Genova beruht, weit entfernt, hier geht es um ein Thema, das immer mehr Menschen angeht, über das aber kaum jemand reden mag – zu groß ist das Unbehagen. Zum Nachdenken will das Regieduo Richard Glatzer und Wash Westmoreland anregen, zum Mitfühlen. Der Zuschauer soll erleben, was es heißt, an Alzheimer zu erkranken.
Ganz so heftig, wie sich das anhört, ist der Film dann aber doch nicht. An einer Stelle schnürt sich das Herz zu, an einer anderen wird die ganze Demütigung sichtbar, die einem der zerfallende Geist zumutet, ansonsten aber geht Still Alice vergleichsweise gnädig mit seinen Protagonisten um. Die ganz harten Momente finden außerhalb der Kamera statt, wir müssen nicht bis zum Ende bei ihr bleiben, auch die moralischen Dilemmata fordern keine Beantwortung ein. Manchen wird das Drama deshalb vielleicht nicht weit genug gehen, einige Punkte und Konflikte, gerade auch innerhalb der Familie, hätten noch ein bisschen konsequenter verfolgt werden dürfen, da hält sich die Romanadaption doch recht nahe an der Oberfläche auf.
Wenn schon weniger im Großen, so überzeugt Still Alice aber doch im Kleinen, nimmt im Grunde unbedeutende Alltagsmomente, um den Verfall der brillanten Frau gerade auch durch viele sich wiederholende Szenen zu demonstrieren. Die sind aber nicht nur geschickt gewählt, sondern vor allem glänzend gespielt, weshalb Julianne Moore nach einer viel zu langen Wartezeit dieses Jahr dann doch endlich einmal den Oscar als beste Hauptdarstellerin in Empfang nehmen durfte. Durch sie wird diese Frau greifbar, die anfangs so stolz und bestimmt war, später nicht einmal mehr ein Eis bestellen kann. Auch der Rest der Familie ist hochkarätig besetzt, wenngleich die Schauspieler bis auf Kristen Stewart als anfangs entfremdete Tochter nicht ganz so viel zu tun bekommen. Auch hier hätte man sich ein bisschen mehr gewünscht, die Annäherung geht ein bisschen schnell und lässt viele Fragen offen. Wer sich daran aber nicht allzu sehr stört, darf hier großes und nachdenkliches Schauspielkino erleben.
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