(„Kleine graue Wolke“ directed by Sabine Marina, 2015)
Woher sie kommt, weiß keiner genau, auch nicht, wie man etwas gegen sie tut. Nicht einmal die Zahl der Betroffenen ist eindeutig geklärt, zwischen 67.000 und 138.000 sollen es in Deutschland sein. Kaum eine Krankheit ist bis heute mit so vielen Fragezeichen verbunden wie die Multiple Sklerose. Das hängt auch damit zusammen, dass in allen Fällen zwar das Nervensystem angegriffen wird, sich jedoch nicht vorhersagen lässt, an welcher Stelle dies passiert: Es können Arme betroffen sein, Beine, sogar Augen. Eben das macht es für alle so schwierig, mit der Situation umzugehen, jeder Krankheitsverlauf ist anders, ein Einstellen darauf nahezu unmöglich.
Sabine Marina ist einer dieser Menschen, die auf einmal mit einer völlig unvorhersehbaren Zukunft konfrontiert sind. Gesund sein? Das bedeutete für sie früher immer nur, keinen Schnupfen zu haben, etwas Ernstes, das geschieht nur anderen. Sie ist noch jung, als sie von der Diagnose erfährt, hat gerade erst mit ihrem Studium angefangen, und muss nun plötzlich alles überdenken, völlig neue Antworten finden.
Die Suche nach diesen führt sie in ihrem Dokumentationsfilm an die unterschiedlichsten Orte: zu anderen Betroffenen, Selbsthilfegruppen, Ärzten. Manchmal aber auch nur in die Natur, wo sie versucht, sich selbst zu erfahren. Trotz der düsteren Zukunftsaussichten, hier stehen nicht Verzweiflung oder Trauer im Vordergrund, kein Tränendrüsendrama oder Kampf um Mitleid. Eine kleine graue Wolke sei aufgetaucht, sagte man zu ihr bei der Diagnose, die den Himmel nur etwas verdunkelt. Und dieses Bild zieht sich bis zum Schluss durch. Bei aller Düsterkeit gibt es hier auch Halt und Trost.
In einer bemerkenswerten Aufrichtigkeit erzählt Marina davon, was das eigentlich bedeutet, Multiple Sklerose, welche Auswirkungen dies auf ihren Alltag hat, auf ihren Umgang mit anderen, auf ihre Hoffnungen und Wünsche. Einige Momente gehen einem natürlich schon an die Nieren, etwa wenn ein erkranktes Paar versucht, sich gegenseitig zu unterstützen, oder auch wenn Marina selbst den Weg zum Supermarkt nicht mehr schafft. Wie ein Tagebuch wirkt Kleine graue Wolke dann, das von Erfolgen und Niederlagen erzählt, gleichzeitig aber auch ein Plädoyer dafür ist, sich in der Gesellschaft stärker mit der Krankheit auseinanderzusetzen.
Denn auch das gehört zu ihrer Situation dazu: Ausgrenzung, Vorurteile, mindestens aber Unsicherheit darüber, wie man sich Betroffenen gegenüber zu verhalten hat. Und wenn Kleine graue Wolke eins schafft, dann ist es, die Krankheit stärker ins Bewusstsein zu rücken, dem anonymen Leiden ein Gesicht zu geben, mit dem man sich sehr gut identifizieren kann. Mehr als das ist der Dokumentationsfilm jedoch nicht, will es auch gar nicht sein. Die wissenschaftliche Seite kommt also relativ kurz, es gibt keinen echten Erkenntnisgewinn, den nicht-betroffene Zuschauer mit sich nehmen können. Es ist am Ende eine von vielen Geschichten, die Marina da erzählt, eine Geschichte, die gleichzeitig anders ist und dann auch wieder nicht. Damit richtet sich Marina also in erster Linie an Menschen, die entweder einen direkten Bezug zu dem doch recht speziellen Thema haben, oder allgemein eine Vorliebe für persönliche Schicksale.
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