(„And Then There Were None“ directed by René Clair, 1945)
Wer ist dieser Mr. Owen eigentlich? Keiner der acht Gäste weiß es, auch das Ehepaar, das extra für das Wochenende angestellt wurde, hat den mysteriösen Gastgeber nie gesehen. Sie wissen nicht einmal, warum er sie auf die abgelegene Insel eingeladen hat, denn in jedem Brief steht eine andere Begründung. Doch trotz der seltsamen Atmosphäre will man die Zeit genießen, so der Beschluss. Bis eine Schallplattenaufnahme die zehn Leute beschuldigt, den Tod anderer verursacht zu haben, ohne je dafür in Rechenschaft gezogen worden zu sein. Während noch fleißig diskutiert wird, ob es sich dabei um einen schlechten Scherz handelt, stirbt einer der Gäste. Und es wird nicht der letzte Tod sein. Nach und nach dezimiert sich die Zahl und den Überlebenden kommt ein schlimmer Verdacht: Was wenn dieser Owen einer von ihnen ist und vorhat, alle umzubringen?
Mit mehr als 100 Millionen verkauften Exemplaren ist das 1939 erschienene „Und dann gab’s keines mehr“ nicht nur das erfolgreichste Buch von Agatha Christie und der erfolgreichste Kriminalroman aller Zeiten, er steht auch genreübergreifend an einer der vordersten Stellen. Und das hat seine guten Gründe: Zwar sind die Morde hier vergleichsweise schlicht, anders als in anderen Geschichten der britischen Autorin gibt es keine komplizierten Tathergänge, die entschlüsselt werden müssen. Dafür war die Suche nach dem Täter so spannend wie selten, was zum einen an dem begrenzten Schauplatz liegt – niemand kann von der Insel weg –, und auch an der steigenden Paranoia. Wem kann ich noch trauen? Wie gehe ich damit um, wenn grundsätzlich jeder Mensch in meinem Umfeld potenziell meinen Tod will?
Nicht ohne Grund wurde „Und dann gab’s keines mehr“ dann auch häufiger für Film und Fernsehen adaptiert als jedes andere Buch Christies. Die früheste stammt aus dem Jahr 1945 und trägt in der deutschen Fassung den früheren Titel des Romans Zehn kleine Negerlein, der ansonsten aber weltweit aus naheliegenden Gründen abgeschafft wurde. Für viele war der erste Versuch einer Verfilmung auch gleich der beste. Darüber mag man sich streiten, einen hohen Unterhaltungsfaktor hat der Krimi jedoch. So wurden erstaunlich viele humorvolle Szenen eingebaut, gerade die mit dem mürrischen Hausangestellten Thomas Rogers (Richard Haydn) stehen den späteren Miss-Marple-Filmen mit Margaret Rutherford in nichts nach. Und auch bei den anderen Nebenfiguren sind einige schillernde Leute dabei.
Gleichzeitig hat dies jedoch den Nachteil, dass sich das Gefühl der Paranoia und des Ausgeliefertseins nie so richtig entwickelt. Wären da nicht die Leichen – die Mordszenen bekommt man fast gar nicht zu sehen –, man hielt Zehn kleine Negerlein für eine Klassenfahrt von Erwachsenen. Und auch in anderer Hinsicht wurde die düstere Stimmung des Romans zurückgeschraubt: Die den Gästen zu Last getragenen Verbrechen wurden teils entschärft, außerdem nimmt der Film nicht das Ende des Buches, sondern das weniger interessante der Theaterversion aus dem Jahr 1943. Und die ist nicht nur deutlich konstruierter, sondern neigt wie auch manch anderes Werk von Christie etwas zum Kitsch. Dass die beiden Hauptdarsteller June Duprez und Louis Hayward recht blass bleiben, schmälert ebenfalls ein wenig das Vergnügen.
Ansonsten aber ist dieses recht hoch, die Schauplätze sind stimmungsvoll gewählt, bis zum Schluss darf eifrig gerätselt werden. Die Auflösung kommt recht überraschend, was auch damit zusammenhängt, dass Christie mit „echten“ Hinweisen ziemlich knauserte. Ein bisschen willkürlich ist Zehn kleine Negerlein daher schon, gehört aber dank seines originellen und später oft kopierten Szenarios zum Pflichtprogramm für jeden Krimifan.
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