(„Les Triplettes de Belleville“ directed by Sylvain Chomet, 2003)
Zum 75. Mal schon beleuchtet heute unser fortlaufendes Special einen Titel aus der Animationsgeschichte näher. Und dass es angesichts des Jubiläums nicht irgendein Titel sein darf, ist klar: Vorhang auf für einen Zeichentrickfilm, der zu den skurrilsten des letzten Jahrzehnts und auch den persönlichen Favoriten zählt.
Als der kleine Champion von seiner Großmutter Souza ein Fahrrad geschenkt bekommt, ist der Junge Feuer und Flamme, beginnt sofort die Welt mit seinem Drahtesel zu erkunden. Daran hat sich bis heute nichts geändert: Nun zu einem erwachsenen Mann herangereift, trainiert er wie ein Besessener für die Tour de France, seinen großen Traum. Der endet jedoch, als er mitten im Rennen von einigen zwielichtigen Männern entführt wird. Souza, die sich das Verschwinden ihres Enkels nicht erklären kann, nimmt zusammen mit ihrem Hund Bruno die Verfolgung auf, welche sie in die ferne Metropole Belleville führt.
Die Oscar-Verleihungen stehen nicht unbedingt in dem Ruf, große Überraschungen für ihre Zuschauer bereitzuhalten. Und das gilt auch für die Animationssparte, seit jeher eine Kategorie, der nur wenig Beachtung zuteilwird und die jedes Jahr von denselben Studios dominiert wird. Insofern ist es immerhin ein Achtungserfolg, mit seinem Werk nominiert zu werden, umso mehr wenn man nicht die Familie zur Zielgruppe erklärt hat. Sylvain Chomet ist das Kunststück gleich dreimal geglückt (Die alte Dame und die Tauben, Das große Rennen von Belleville, Der Illusionist), dreimal musste er sich geschlagen geben – dieses Mal Findet Nemo.
An einem zu komplexen Inhalt ist der Film sicherlich nicht gescheitert, denn der ist recht überschaubar. So überschaubar, dass Chomet fast keine Sprache braucht, um seine Geschichte zu erzählen. Wenn nicht gerade eine Fernseh- oder Radiosendung das Geschehen kommentiert, gibt es keine echte Sprache, die Charaktere kommunizieren durch unverständliches Gebrabbel, Grunzlaute, oft auch durch Gestik und Mimik.
Letztere ist hier dann auch sehr ausgeprägt, wie in einem Stummfilm wird alles übertrieben dargestellt. Schon die Designs der Figuren entsprechen weder dem gängigen Zeichentrickschönheitsideal, noch irgendwelchen realen Anatomien. In einer völligen Missachtung des menschlichen Körpers sind die Leute hier entweder zu groß oder zu klein, zu dick oder zu dünn. Champion überragt seine Großmutter beispielsweise um mehr als das Doppelte, seine Arme und Beine stehen in keiner Relation zueinander. Und auch bei der Mafia, die später eine große Rolle spielt, kommt es zu grotesken Größenunterschieden.
Überhaupt gehören die kuriosen Figuren zu den Höhepunkten des Films: Souza stolpert mit einem immens verstärkten Einzelschuh durch die Gegend und kommandiert jeden herum, Hund Bruno denkt ständig nur ans Fressen und bellt jeden Zug an, den er sieht, ein Mafiamitglied sieht – sicher nicht zufällig – wie eine Maus aus, die drei alten Damen, welche Das große Rennen von Belleville ihren französischen Originaltitel gaben, hängen ihrer Zeit als große Stars nach, ernähren sich nun aber aus Geldmangel nur noch von Fröschen in allen Variationen. Dieser Kontrast von arm und reich ist allgemein sehr präsent, die Glitzerwelt New Yorks wird hier karikiert und ihren hässlichen Hinterhöfen gegenübergestellt.
Neben der ungewöhnlichen, sehr gelblastigen Optik und vereinzelten Anspielungen (auch auf klassische Zeichentrickfilme) beruht der Humor von Das große Rennen von Belleville in erster Linie auf absurdem Slapstick, ganz ähnlich zu den Auftritten von Jacques Tati, welcher Chomet Jahre später auch zu Der Illusionist inspirierte. Geistreich ist das sicher nicht, dafür aber ein wahnwitziger Spaß, der an jeder Ecke eine neue, unerwartete Richtung einschlägt. Da in dem Film keine echte Gewalt vorkommt, ist er zwar auch mit jüngeren Zuschauern kompatibel, doch sind es hier die Erwachsenen, die am meisten auf ihre Kosten kommen – vorausgesetzt man weiß die Verrücktheit zu schätzen, die vielen absurden Einfälle. Animationsfreunde sollten den mit schmissigen Jazzstücken unterlegten französischen Sonderling ohnehin mindestens einmal gesehen haben, da er trotz gelegentlicher Computerelemente zeigt, welche subversive Kraft noch immer dem heute als altmodisch verkannten Zeichentrick innewohnt, wenn die richtige Person dahintersteckt.
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