(„Last Exile“ directed by Koichi Chigira, 2003)
Von staubigen Straßen hinauf in luftige Höhen: Nachdem wir letzte Woche in Das große Rennen von Belleville die absurden Abenteuer eines Radrennfahrers und seiner Großmutter erlebt haben, folgen wir in Teil 76 unseres fortlaufenden Animationsspecials zwei Kindern in den Himmel. Das ist zwar weniger lustig, dafür aber sehr schön anzusehen.
Wenn sie nicht gerade mit Wettrennen beschäftigt sind, dann arbeiten der 15-jährige Vanship-Pilot Claus Valca und seine gleichaltrige Navigatorin Lavie Head als Kuriere. Normalerweise halten sie sich dabei an kleinere Aufträge. Doch normal ist nichts mehr, als sie einem sterbenden Unbekannten versprechen müssen, das von ihm transportierte Mädchen Alvis Hamilton zum Söldnerschiff Silvana zu bringen. Denn kaum dort angekommen, stehen sie plötzlich zwischen den Fronten der beiden Nationen Anatoray und Disith, die einen unerbittlichen Krieg miteinander führen. Aber auch mit der „Gilde“ geraten sie immer wieder aneinander, denn die herrschende Organisation hat selbst ein großes Interesse an Alvis.
Zehn Jahre bestand das Animationsstudio Gonzo bereits, als Last Exile 2003 im japanischen Fernsehen lief. Zehn Jahre, in denen es sich als Produzent von Videospielsequenzen einen Namen gemacht hatte, aber auch durch Anime wie Vandread, Hellsing oder auch Blue Submarine No. 6. Die Abenteuer von Claus und Lavie – eine Originalentwicklung des Studios – sollte dieses Jubiläum nun feiern und etwas Besonderes liefern. Was den Machern auch gelungen ist, in mehrfacher Hinsicht.
Zunächst einmal ist es die Optik, die einem sofort ins Auge fällt. Gonzo war eines der ersten japanischen Studios, welche im großen Stil Computergrafiken in seine Serien einbaute. Was damals vermutlich noch für offene Münder gesorgt hat, ist inzwischen jedoch durch den Fortschritt der Technik längst veraltet. Schlimmer noch ist, dass das Zusammenspiel zwischen Zeichentrick und CGI oft sehr plump war, beides nie so recht zusammenfand. Bei Last Exile ist das ein wenig anders. Zum einen sind Maschinen ein integraler Bestandteil der Handlung. Wenn diese hier auch visuell stärker in den Mittelpunkt rücken, ist das daher weniger störend. Zum anderen verpassten die Macher diesen Objekten einen stärkeren Comiclook als üblich, was diesen recht gut steht.
Vor allem aber ist es das Design, welches Last Exile von vielen anderen Serien unterscheidet. Der japanische Künstler Range Murata bekam hier freie Hand, wie er die Welt von Prester auf den Bildschirm bringen wollte. Er entschied sich für eine Mischung aus Tradition und Moderne: Die Maschinen wirken wie zu der Zeit der industriellen Revolution, schmutzig und grob. Dazu passt die blasse Farbgebung in Sepia-Tönen, welche den Eindruck erweckt, über alte Aufnahmen gestolpert zu sein. Gleichzeitig ist alles aber auch futuristisch, die Flugzeuge werden mithilfe eines Minerals befeuert. Am ehesten erinnert dieser Steampunk-Look noch an die früheren „Final Fantasy“-Spiele, wo ebenfalls Luftschiffe eine große Rolle spielten (und die Menschen auf riesigen Laufvögeln ritten). Nachteil des Himmelsettings: Auf ausgefeilte Hintergründe muss man verzichten, hier gibt es keine große Abwechslung.
Im Vergleich zur ungewöhnlichen optischen Umsetzung tritt der Inhalt etwas zurück, hat aber ebenfalls einige interessante Aspekte zu liefern. Vor allem das Szenario an sich hat auch zwölf Jahre später seinen Reiz: eine Welt in den Wolken, Wasser, das so knapp geworden ist, dass es in verschiedenen Reinheitsgraden verkauft wird, zwei Nationen im Krieg plus eine dritte Fraktion, die ihre Finger im Spiel hat. Und dann wäre da noch der geheimnisvolle Große Strom, ein gigantischer Wolkenstrudel, der so manches Leben gekostet hat bei dem Versuch, ihn zu durchqueren.
Geheimnisse und Mysterien spielen allgemein eine große Rolle, Regisseur Koichi Chigira (Full Metal Panic!, Brave Story) ist recht geschickt darin, die Neugierde hochzuhalten, was das denn hier alles zu bedeuten hat. Gerade die Natur des „Exils“, welches hier jeder begehrt, bleibt lange im Verborgenen. Wirklich belohnt wird die Neugierde jedoch nur teilweise, manche Antwort auf die eigenen Fragen ist schon sehr dünn ausgefallen. Schade auch, dass das Abenteuergefühl in bester Jules-Verne-Manier später wieder aufgegeben wurde zugunsten von deutlich mehr Fantasyanteilen und einem Fokus auf der Gilde. Ab dem Zeitpunkt wird die Serie wieder deutlich austauschbarer, was auch an den langweiligen Figuren hängt. Schon Claus und Lavie entsprechen gängigen Animeklischees, besonders schlimm aber ist die große Gegenspielerin Maestro Delphine. Wie später auch bei der Gonzo-Produktion Speed Grapher versuchte man, einen abgründig-abstoßenden Charakter aufzubauen – mit bescheidenem Ergebnis.
Trotz dieser unnötigen Schwächen gegen Ende hin, der Jubiläumsanime ist gelungen, gehört zu dem besten, was das Studio je hervorgebracht hat. Schön daher, dass Last Exile unlängst in einer liebevoll aufgemachten Gesamtbox wiederveröffentlicht wurde. Weniger schön ist, dass die Jahre später produzierte Fortsetzung Last Exile: Fam, the Silver Wing bis heute nicht ihren Weg hierher gefunden hat.
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