(„Lost River“ directed by Ryan Gosling, 2014)
Der kleine Ort Lost River wird seinem Namen mehr und mehr gerecht: Wer kann, ist schon längst gegangen, nur wenige harren nach wie vor in der heruntergekommenen Geisterstadt aus. Billy (Christina Hendricks) ist einer dieser Menschen, die geblieben sind, und lebt mit ihren beiden Kindern Bones (Iain De Caestecker) und Franky (Landyn Stewart) mehr schlecht als recht in ihrem hochverschuldeten Eigenheim. Das Geld ist knapp, die Aussichten trübe – bis ihr Bankmanager Dave (Ben Mendelsohn) ihr vorschlägt, doch in seinem Nachtclub zu arbeiten. Währenddessen gerät Bones mit dem Schläger Bully (Matt Smith) aneinander, was auch Auswirkungen auf das Nachbarsmädchen Rat (Saiorse Ronan) hat.
Schauspieler, die sich zu Höherem berufen fühlen und einmal selbst Regisseur und Drehbuchautor spielen wollen – das kann böse daneben gehen, entweder weil sie sich zu sehr verkünsteln, sei es weil sie in ihrer Gefallsucht in der Belanglosigkeit landen. Lost River, das Einstandswerk von Ryan Gosling, neigt dabei zu Ersterem. Ein Wunder ist das nicht, dass er dafür durchaus empfänglich ist, zeigte er schon durch sein Mitwirken in Drive und Only God Forgives. Der Einfluss dieser Filme ist hier dann auch mehr als deutlich, oft genug könnte man Goslings Debüt für ein neues Werk von Nicolas Winding Refn halten.
Kräftige Farben, ein in Flammen stehendes Fahrrad, abbruchreife Gebäude und nicht zuletzt der Nachtclub, in dem etwas eigenartige Fantasien ausgelebt werden – Lost River ist ein visuell oft bestechender Blick in die Abgründe der Menschen, das Zelebrieren eines verlorenen Amerikas. Gosling wählt dafür nicht die Großstädte, um das Nebeneinander von Arm und Reich zu zeigen, den langsamen Zerfall. Sein Amerika ist das bereits vergessene Amerika, ein Amerika im Augenwinkel, das schon lange niemand mehr wahrnimmt. Eine Kleinstadt in der Nähe der einstigen Automobilhochburg Detroit, in dem der amerikanische Traum in Folge der Wirtschaftskrisen längst zu einem Alptraum geworden ist.
In einzelnen Szenen ist das wunderbar geworden, furchteinflößend, unheimlich, zusammen mit dem ungewöhnlich uneinheitlichen Soundtrack auch hypnotisch. Vergleichbar zu Refns ähnlich von Kritikern verrissenen Only God Forgives darf man aber auch hier fragen, ob der Inhalt anlässlich des dunkel funkelnden Äußeren nicht etwas stark vernachlässigt wurde. Während man dort den Eindruck hatte, dass dies vielleicht noch Teil eines Plans war, das Publikum zu verspotten, mindestens aber zu provozieren, scheint Gosling seine Geschichte aber durchaus ernst zu meinen.
Die bietet jedoch nicht genug, um wirklich über die ganze Distanz von anderthalb Stunden zu fesseln. Der anfangs konkrete Anlass des Immobiliendebakels, als zahlreiche Amerikaner Kredite aufnahmen, ohne eine Chance zu haben, diese wieder abzubezahlen, der wird nur anfangs erwähnt. Später bewegen wir uns so weit von der Realität weg, tauchen in brutale Fantasien und überlieferte Legenden ein, dass nichts mehr von dem Rahmen übrigbleibt. Reizvoll ist diese traumartige Atmosphäre, allein deshalb schon ist Goslings eigenwilliges Regiedebüt eines der interessanteren Experimente künstlerisch unbefriedigter Schauspieler. Für einen zweiten Film wäre es jedoch wünschenswert, wenn er sich nicht ganz so sehr in das Drumherum verlieben würde, sondern auch das Narrative ein bisschen mehr berücksichtigt.
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