(„Jamie Marks Is Dead“ directed by Carter Smith, 2014)
Es ist ein grausiger Fund: Jamie Marks (Noah Silver) ist tot, eventuell ermordet, seine Leiche liegt unbekleidet am Flussufer. Es ist ein Fund, der viele schockiert, sie aber nicht wirklich mitnimmt. Denn beliebt, das war der 15-Jährige nicht, kaum einer kannte den Außenseiter besser. Auch sein früherer Mitschüler Adam McCormick (Cameron Monaghan) stand ihm nicht nahe, hatte keinen richtigen Kontakt. Das ändert sich jedoch, als ihm eines Nachts der Geist des Toten erscheint und der auch nach seinem Ableben die Hoffnung nicht aufgegeben hat, doch noch einen Freund auf dieser Welt zu finden.
Wenn Verstorbene auf dieser Welt noch etwas zu erledigen haben, dann bedeutet das meist Ärger für den Rest und schaurige Spannung für den Zuschauer. Umso überraschter dürfte das horroraffine Publikum beim Fantasy Filmfest 2014 gewesen sein, als Jamie Marks Is Dead seine Deutschlandpremiere feierte. Denn hier passiert erst einmal … nichts. Dabei spielt der Film geschickt mit den Erwartungen des Zuschauers, erzählt seine Geschichte mit eisig-blauen Bildern, vielen Nachtaufnahmen, lässt auch offen, was wirklich mit Jamie geschah in der Nacht seines Todes. Da müssen doch einige Schockmomente rausspringen!
Tun sie aber nicht, zumindest für eine sehr lange Zeit. Es ist auch weniger das vermutlich nicht ganz freiwillige Ableben des Jungen, das im Mittelpunkt steht, sondern seine sich entwickelnde, manchmal auch homoerotisch angehauchte Beziehung zu Adam. Die Sehnsucht nach Nähe, auch über den Tod hinaus. Dieses Spiel mit Distanz und Nähe prägt das gesamte Figurenensemble. Besonders bei dem jungen Trio – zu den Jungs gesellt sich die Mitschülerin Gracie (Morgan Saylor), welche Jamies Leiche fand und Gefühle für Adam hegt – ist das auch sehr schön gelungen. Zwar sind Adam und Gracie deutlich stärker in der Welt der Lebenden integriert als der ewige Außenseiter Jamie, aber auch sie haben mit Entfremdung zu kämpfen, damit nicht wirklich einen Platz für sich gefunden zu haben.
Bei Adam hängt dies sehr mit der Familie zusammen: Sein Bruder Aaron (Ryan Munzert) schikaniert ihn unentwegt, das Verhältnis zu seiner Mutter Linda (Liv Tyler) ist ebenfalls zerrüttet, seitdem diese nach einem Unfall im Rollstuhl sitzt und sich ausgerechnet von der Verursacherin Lucy (Judy Greer) pflegen lässt. Diese Nebenhandlung ist der vielleicht größte Wermutstropfen von Jamie Marks Is Dead: Sie wirkt zu aufgesetzt. Zwar dient sie als Anlass für Adams Entfremdung der Welt, mit dem Geschehen selbst steht sie aber in keiner Verbindung. Und auch mit dem doch sehr gemächlichen Einstieg tat sich Regisseur und Drehbuchautor Carter Smith keinen großen Gefallen, denn bis wir zu den relevanten Stellen kommen, vergeht schon eine ganze Weile, so mancher Zuschauer wird da längst ausgeschaltet haben.
Und das ist schade, nicht nur, weil dieser damit gegen Ende tatsächlich furchteinflößende Momente verpasst, sondern auch einen insgesamt gelungenen, sehr von Melancholie geprägten Film über Einsamkeit und das Erwachsenwerden. Die Verfilmung des Romans „One for Sorrow“ von Christopher Barzak ist dann – trotz seiner Geister – auch weniger ein Horrorfilm, sondern vielmehr ein übernatürliches Coming-of-Age-Drama. Wer die nötige Geduld mitbringt, der wird bei Jamie Marks Is Dead mit einem ungewöhnlichen, atmosphärisch starken Film belohnt, der uns ähnlich zu Love Eternal den Tod an die Hand gibt, um das Leben zu verstehen.
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