Tokyo Ghoul
© Sui Ishida/Shuesiha, Tokyo Ghoul Production Committee

(„Tokyo Ghoul“ directed by Shuhei Morita, 2014)

Tokyo Ghoul
„Tokyo Ghoul“ ist in insgesamt vier Volumes auf DVD und Blu-ray erhältlich

Eigentlich wollte der 19-jährige Ken Kaneki mit seinem Schwarm Liz anbandeln. Die zeigt sich auch nicht abgeneigt, hat ihren Verehrer sogar zum Fressen gern. Nur ist das in ihrem Fall wörtlich zu verstehen: In einer dunklen Seitengasse entpuppt sich die hübsche Dame als Ghul, die Ken zu ihrem Mittagessen auserkoren hat. Das geht schief, ein Stahlträger erschlägt sie, auch ihr designiertes Opfer wird böse erwischt. Durch eine Transplantation von Liz’ Organen überlebt Ken zwar, ist als Halb-Ghul aber nun selbst gegen seinen Willen auf Menschenfleisch angewiesen und gerät bei seiner Sinnsuche zwischen die Fronten von Monstern und Menschen.

Anime und Horror, das ist hierzulande oft keine besonders glückliche Kombination. Viele gute Serien schaffen es nicht nach Deutschland (Higurashi, Boogiepop Phantom), was kommt, ist oft unfreiwillig komisch (Blood-C) oder eine Ausrede, möglichst voluminöse Oberweiten zu zeigen (Highschool of the Dead). Da ist Tokyo Ghoul deutlich vielversprechender, zum einen weil der Anime auf der beliebten Mangareihe von Sui Ishida basiert, zum anderen weil hier Shuhei Morita Regie führt, der vor Jahren bei seinem fantastischen Kurzfilm Kakurenbo zeigte, dass er etwas von dichter Gruselatmosphäre versteht.

Viel gemeinsam haben die beiden Werke dennoch nicht, denn hier steht weniger das Grauen im Vordergrund, sondern Protagonist Ken Kaneki und dessen Versuche, sich in seiner neuen Welt zurechtzufinden. Die ersten Folgen schaffen es schön, diesen Zwiespalt zwischen Moral und Bedürfnis aufzuzeigen und in die geheime Ghulgesellschaft einzuführen. Seine Anlaufstelle entpuppt sich dabei als eine recht gemäßigte Fraktion der Monster, die ganz gerne im Frieden mit den Menschen leben würden und alles dafür tun, sich der Gesellschaft anzupassen. Das ist ein zumindest im Animesektor eher ungewöhnlicher Zugang zum Thema, neigt aber später zum Melodram. Hat nicht ein Ghul Augen? Hat nicht ein Ghul Hände, Gliedmaßen, Werkzeuge, Sinne, Neigungen, Leidenschaften? Ein bisschen fühlt man sich bei Tokyo Ghoul an den berühmten Monolog aus „Der Kaufmann von Venedig“ erinnert, in dem so leidenschaftlich für die Akzeptanz von Außenseitern appelliert wird.

Nur dass bei Ken ausschließlich Leiden, aber keine Leidenschaft zu sehen ist. Ein von Selbstzweifeln und Unsicherheiten geplagter Protagonist ist angesichts des Themas sicher der richtige Zugang, sollte aber auch mit einer Entwicklung einhergehen. Die fehlt hier aber über weite Strecken, die Hauptaufgabe der Hauptfigur besteht darin, wimmernd daneben zu stehen, während um ihn herum alles im Chaos versinkt. Auf Dauer ist das recht unbefriedigend, erst zum Schluss hin wird durch eine nicht wirklich nachvollziehbare Situation der Schalter plötzlich umgelegt.

Wenig ausgeprägte Charaktere und inhaltliche Sprünge sind aber ohnehin quasi das Markenzeichen der Serie, was auch am Konzept liegt: 14 Bände umfasst der zwischen 2011 und 2014 erschienene Manga, für die Adaption standen gerade mal zwölf Folgen zur Verfügung. Dass Fans der Vorlage entsetzt waren, verwundert nicht weiter, bei Tokyo Ghoul wurde begradigt, geschnippelt und vereinfacht, was das Zeug hält. Was dem Anime an Gehalt mangelt, soll dann durch etwas plakativere Mittel übertüncht werden. Da wäre zum einen eine dekadente (und lächerliche) Geheimorganisation, die an unselige Speed Grapher Zeiten erinnert. Und zum anderen Blut, sehr viel Blut. Nicht umsonst wurde bei der japanischen Ausstrahlung kräftig zensiert, wenn es zur Sache geht, dann wird eifrig rote Farbe verspritzt – zum Schluss wird die Brutalität noch einmal kräftig angezogen.

So ganz geht die Kombination von dramatischen, nachdenklichen Momenten und der Versuch von schriller Abgründigkeit trotz interessanter Ansätze nicht auf, da wird schon sehr von Thema zu Thema gehetzt. Immerhin sind die zahlreichen Actionszenen vom Animationsstudio Pierrot (Naruto, Nils Holgersson) effektvoll in Szene gesetzt, für eine TV-Produktion geht das hier alles in Ordnung. Mehr als solide ist die Serie dann auch insgesamt nicht, der erhoffte Horrorhöhepunt bleibt aus. Aber vielleicht bietet den ja die Folgestaffel mit dem Titel Tokyo Ghoul √A, welche Anfang 2015 in Japan lief und eine Originalgeschichte erzählt.



(Anzeige)

Bei der Adaption des bekannten Horrormangas blieb viel von der Geschichte auf der Strecke, „Tokyo Ghoul“ hetzt zwischen Drama und blutigen Actionszenen hin und her, ohne jemals wirklich in die Tiefe zu gehen. Trotz der interessanten Ansätze und effektreicher Kämpfe kommt der Anime daher nicht über ein solides Niveau hinaus.
6
von 10