Alice im Wunderland 1949

Alice im Wunderland (1949)

(„Alice au pays des merveilles“ directed by Dallas Bower, 1949)

Alice im Wunderland 1949Das ist so unfair! Da kommt schon einmal Königin Victoria (Pamela Brown) an die Universität von Oxford, und dann darf Dekantochter Alice (Carol Marsh) nicht hin. Um sie zu trösten, nimmt ihr Lehrer Charles Dodgson (Stephen Murray) sie und ihre beiden Schwestern auf einen Bootausflug mit und erzählt ihnen eine wundersame Geschichte. Bald schon fallen dem Mädchen die Augen zu, und erlebt in ihren Träumen die Abenteuer im Wunderland selbst. Und das sind nicht wenige, denn unterwegs trifft Alice die seltsamsten Kreaturen.

Curiouser and curiouser! Ein paar Verfilmungen von „Alice im Wunderland“ hatte es bereits gegeben, als sich der englische Regisseur Dallas Bower Ende der 40er annahm. Wie dem Buch noch neue Seiten abgewinnen, zumal die hochkarätig besetzte Version aus dem Jahr 1933 sich als böser Flop herausstellte? Tatsächlich fand die französische Produktion für dieses Problem eine Lösung, mehrere sogar.

Die erste lässt auch nicht lange auf sich warten. Beginnen fast alle Versionen damit, dass Alice dem Kaninchen begegnet und ihm ins Wunderland folgt, nimmt einen der Film hier mit ins reale England des 19. Jahrhunderts. Charles Dodgson, wie der Alice-Autor Lewis Carroll im wahren Leben hieß, eckt mit seinen eigenartigen Theorien und seiner Vorliebe für fantastische Geschichten immer wieder im Universitätsbetrieb an, die Geschichte ums Wunderland ist nicht nur Trost für die Mädchen, sondern auch Ausgleich für Dodgson selbst. Die realen Hintergründe des Buches mit dessen Inhalt zu verknüpfen war ein interessanter (und einmaliger) Ansatz. Die Ausführung dauert zwar ein bisschen lang, knapp 13 Minuten müssen wir warten, bis wir das Wunderland erkunden dürfen – und das ist bei einem 76-minütigen Film eine ganze Menge. Dafür kommt es später zu witzigen Dopplungen, wenn viele der realen Schauspieler der Vorgeschichte den Wunderlandbewohnern ihre Stimme geben, Realität und Traum hier also verschmelzen. Brown etwa spielt sowohl Königin Victoria wie auch die Herzkönigin, Murray wiederum Dodgson und den Herzbuben.

Damit einher geht die zweite Besonderheit: Allein Alice wird durch eine reale Schauspielerin verkörpert, der Rest sind Puppen, die mit Hilfe der Stop-Motion-Technik animiert werden. Diese Kombination aus Realaufnahmen und Animation hat knapp 40 Jahre später bei Jan Švankmajers Alice fantastisch funktioniert, Bower steht dem nicht viel nach. Von der Stimmung her sind beide Werke aber kaum miteinander zu vergleichen: Stürzte der tschechische Virtuose seine Zuschauer in einen bizarren Alptraum, ist die französische Version doch deutlich freundlicher und familientauglicher. Aber auch diese hat ihre Eigenheiten, vor allem die sehr stilisierten Bäume und die fremdartig-leeren Räume tun einiges dafür, dass man sich hier tatsächlich wie in einer Traumwelt fühlt, die ihre eigenen Regeln hat. Oder auch gar keine. Visuell ist Alice im Wunderland daher sehr gelungen, ein wunderbares Beispiel dafür, wie man Carrolls fantasievolle Kreation umsetzen kann.

Weniger schön ist das, was einem für die Ohren geboten wird. Wie schon 1933 ist der Film konstant mit einer verspielt-theatralischen Musik hinterlegt, hinzu kommen die regelmäßigen Lieder: Ähnlich zu der Disney-Zeichentrick-Variante zwei Jahre werden Szenen oft gesungen. Die Darbietungen sind zwar nicht übermäßig störend, halten den Film aber manchmal etwas auf und haben dabei nicht annähernd so viel Ohrwurmcharakter wie die des bekannteren Nachfahren. Gemischte Gefühle gibt es auch bei Hauptdarstellerin Marsh, die Alice zwar die richtige Mischung aus Neugierde und Trotz mitgibt, zu dem Zeitpunkt aber schon Anfang 20 war – mit dem Buch ist das kaum zu vereinbaren. Ansonsten aber hielt man weitestgehend an die Vorlage, das Tempo stimmt, auch der Sprachwitz hat die Adaption gut überstanden. Und so ist Alice im Wunderland trotz seiner ungewöhnlichen Umstände – ein französisches Stop-Motion-Musical mit englischen Darstellern, das die Vorgeschichte miterzählt? – die wohl erste tatsächlich gute Version des Literaturklassikers.



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Lasst die Puppen singen! Das französische „Alice im Wunderland“ kombiniert eine reale Alice mit Stop-Motion-Sequenzen und Musicalnummern. Letztere sind nicht berauschend, können den ansonsten guten Eindruck der Klassikerverfilmung aber nicht wirklich trüben.
7
von 10