(„Alice in Wonderland“ directed by Nick Willing, 1999)
Vor anderen Leuten auftreten? Für Alice (Tina Majorino) gibt es nichts Schlimmeres als das. Dass sie auf der Gartenparty ihrer Eltern ein Lied vortragen soll, kommt für sie daher einem Alptraum gleich. Ein Alptraum, dem sie zu entkommen versucht, indem sie sich im Garten versteckt. Dabei begegnet sie jedoch einem sprechenden und sehr aufgeregten weißen Kaninchen, das an ihr vorbeirauscht. Alice, schon immer mit einer großen Portion Neugierde ausgestattet, läuft dem gehetzten Tier hinterher, fällt dabei jedoch in ein Loch und landet am Ende in einem sonderbaren Land, in dem die seltsamsten Kreaturen hausen.
Der kommerzielle Reinfall der starbesetzten Adaption von 1933 sei es gewesen, der die Filmstudios fortan daran zweifeln ließ, ob eine Kinofassung von Lewis Carrolls „Alice im Wunderland“ tatsächlich finanziell sinnvoll ist. So sagt man. Nicht dass es in den folgenden Jahrzehnten an Verfilmungen gemangelt hätte, doch handelte es sich dabei meistens dann doch um Zeichentrickversionen oder kostengünstige TV-Filme, die eher Theaterstücken glichen. Auch die 1999er Variante hat ihren Ursprung im Fernsehen, was man hier aber kaum glauben mag – vor allem nicht angesichts der absurd prominenten Besetzung.
Tina Majorino in der Titelrolle dürfte nur den wenigsten etwas sagen, da ihre Karriere als Schauspielerin anschließend überschaubar blieb. Ansonsten aber ist Alice im Wunderland jeder vorangegangen und nachfolgenden Adaption in Hinblick auf die pure Anzahl an Stars meilenweit überlegen, inklusive dem Megablockbuster von Tim Burton. Whoopi Goldberg (Grinsekatze), Ben Kingsley (Raupe), Christopher Lloyd (der weiße Ritter), Pete Postlethwaite (Zimmermann), Miranda Richardson (Herzkönigin), Martin Short (der verrückte Hutmacher), Peter Ustinov (Walross), Gene Wilder (Schildkröte), Simon Russell Beale (Herzkönig), Robbie Coltrane (Tweedledum), George Wendt (Tweedledee), Elizabeth Spriggs (Herzogin) – das ist schon eine sehr beeindruckende Ansammlung bekannter Gesichter und Namen. Komplettiert wird das Ensemble durch diverse sehr schön gestaltete Puppen aus der Jim-Henson-Werkstatt.
Nachteil der Staransammlung: Damit die berühmten Darsteller auch als solche zu erkennen bleiben, begnügte man sich bei den Kostümen mit dem Notwendigsten. Verschwanden in anderen Adaptionen die Schauspieler hinter ihren Tiermasken, ist die Verpackung hier so spärlich, dass man oft nicht einmal mehr erkennt, dass das wirklich noch Tiere sein sollen. Damit einher geht der Verlust des Fantastischen, das Gefühl, tatsächlich eine fremde Welt betreten zu haben. Ansonsten aber gehört Alice im Wunderland zu den optisch gelungensten Fassungen. Einigen Spezialeffekten sieht man natürlich an, dass sie inzwischen 15 Jahre auf dem Buckel haben, gerade am Anfang gibt es aber einige Kulissen, welche die surrealen Elemente der Vorlage gut wiedergeben – dass eine Tür auf der einen Seite größer ist als auf der anderen, ist eine ebenso einfache wie brillante Idee, dem Ganzen eine traumartige Atmosphäre zu verleihen.
Insgesamt soll Alice im Wunderland jedoch in erster Linie ein Märchen für Kinder sein: Der absurde Humor wurde entschärft, dafür gibt es eine neue Rahmenhandlung um den gefürchteten Auftritt auf dem Gartenfest, der Film handelt davon, Mut zu sich selbst zu finden. Das ist nett, gut gemeint, für reine Alice-Fans aber doch ein wenig zu harmlos, lässt die anarchischen und subversiven Tendenzen vermissen. Auch deshalb ist die NBC-Produktion trotz unbestrittener Qualitäten und einer vergleichsweise originalgetreuen Handlung nicht die definitive Adaption, die man sich vielleicht erhofft hat; hinzu kommen die Elemente aus dem zweiten Buch „Alice hinter den Spiegeln“, welche etwas ungeschickt eingebaut wurden. Aber sie ist sicher eine der besten, macht Spaß, ist farbenfroh und darf sich mit einer Hauptdarstellerin brüsten, die ihrer erdrückend populären Kollegen zum Trotz einen guten Eindruck hinterlässt. Wer eine Realversion der Geschichte sehen will, die sich auch an das Buch hält, für den ist diese hier neben der französischen Version aus dem Jahr 1949 die erste Wahl.
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