(„Bridgend“ directed by Jeppe Rønde, 2015)
Die junge Sara (Hannah Murray) zieht mit ihrem Vater Dave (Steven Waddington) von Bristol wieder in ihre Heimatstadt Bridgend. Während sich Sara noch schwer mit der ungewohnten Umgebung tut, sich nur zögerlich den neuen Mitmenschen öffnet, hat Dave als Polizist alle Hände voll zu tun. Eine mysteriöse Selbstmordwelle hat den kleinen walisischen Ort erfasst, mehr als zwanzig Jugendliche haben sich bereits getötet – ohne ersichtlichen Grund, ohne Abschiedsbrief. Bei der Suche nach Antworten stößt Dave jedoch auf eine Mauer des Schweigens. Und dann verliebt sich Sara ausgerechnet in Jamie (Josh O’Connor), aus dessen Umfeld die Selbstmörder kommen, trotz aller Warnungen und Verbote ihres Vaters.
Dorf der verlorenen Jugend, bei dem Titel wird so manch einer an Die Stadt der verlorenen Kinder erinnert, jene französische Groteske über einen Orden, der Kinder entführt. Von einem sehr düsteren Ambiente einmal abgesehen haben beide Filme aber nicht viel gemeinsam. Das verrät auch der deutlich nüchternere Originaltitel Bridgend, der auf den walisischen Ort verweist, an dem die Geschichte spielt und dessen wahre Geschichte die Vorlage für den Film liefert. 79 Menschen haben sich dort zwischen 2007 und 2012 das Leben genommen, die meisten waren im Teenageralter. Warum sie das taten, war ein Rätsel, und ist es bis heute.
Dieses zu lüften, war dann auch weniger die Antriebsfeder von Regisseur und Ko-Autor Jeppe Rønde, der hier sein Spielfilmdebüt gibt. Zuvor hatte der Däne diverse Dokumentarfilme gesehen, was sich hier aber nur an seiner gründlichen Recherche vor Ort zeigt. Sechs Jahre begleitete er die Menschen von Bridgend, befragte sie zu den Vorkommnissen, stieß damit aber nur auf eine sehr gemischte Gegenliebe. Und zumindest diese Ablehnung von außen findet sich auch in Dorf der verlorenen Jugend wieder. „Wir bleiben gern unter uns“, sagt einer der Jugendlichen einmal. Neuankömmlinge werden misstrauisch beäugt, Erwachsene sowieso.
Die sind hier dann auch erstaunlich passiv. Ein Ort, der so viele seiner Kinder verloren hat, von dem sollte man eigentlich erwarten, dass er etwas mehr Gegenwehr und Verzweiflung zeigt. Die ist aber allenfalls bei Dave zu spüren, der Rest scheint sich seinem Schicksal längst ergeben zu haben. Warum das so ist, wird nicht verraten, auch die Beweggründe der Jugendlichen bleiben im Dunkeln verborgen, ihr Handeln wird kaum je (be)greifbar. Was man spürt, ist eine diffuse Todessehnsucht und das Gefühl des Verlorenseins, keinen echten Platz mehr in dieser Welt zu haben.
Das wird manchem Zuschauer nicht reichen, das Bedürfnis nach Aufklärung wird hier nicht befriedigt. Stattdessen inszeniert Rønde die Tragödie als eine Art Mysterythriller, der oft auch beim Horrornachbarn vorbeischaut. Düstere, ausgebleichte Bilder, die zusammen mit dem bedrohlich brummenden Score nicht wie von dieser Welt wirken. Die dichten dunklen Wälder, der See, immer wieder dieser See, Bridgend ist ein Ort der dunklen Geheimnisse, der seelischen Abgründe. Entsetzen macht sich breit, wenn man den Jugendlichen zusieht, wie sie kuriose Rituale feiern. Aber auch Faszination, die Ereignisse sind furchteinflößend und hypnotisch zugleich, selbst wenn man fast 110 Minuten lang gar nicht so genau weiß, was da eigentlich geschieht. Vielleicht ist genau das dann auch das Erschreckende am Dorf der verlorenen Jugend: das Wissen, dass da etwas Finsteres in uns lauert, das sich jeder Rationalität entzieht, dass wir manchmal hilflos zusehen müssen, wie andere im Strudel versinken. Und manchmal eben auch man selbst.
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