(„Psycho-Pass“ directed by Naoyoshi Shiotani and Katsuyuki Motohiro, 2012-13)
In einer fernen Zukunft ist die Kriminalitätsrate auf dem niedrigsten Stand, den die Menschheit je erlebt hat. Nicht weil es allen gut geht und die ganze Welt nur noch aus Engeln besteht. Vielmehr wird jeder Versuch eines Verbrechens schon im Keim erstickt. Möglich machen dies die sogenannten Psycho-Pässe, eine Art Ausweis, die ständig darüber Auskunft geben, wie es um den seelischen Zustand der Leute bestellt ist. Zeigen sich dort Anzeichen, dass jemand kriminelles Potenzial entwickelt, darf die Polizei denjenigen gefangen nehmen, im schlimmsten Fall sogar töten – noch bevor eine Straftat vorliegt. Genau mit diesem Punkt hadert Akane Tsunemori, welche neu im Dienst der Öffentlichen Sicherheit arbeitet. Aber sie ist nicht die einzige, die ihre Vorbehalte dem Sybil-System gegenüber hat, das für die strafrechtliche Einschätzung zuständig ist und auch sonst kräftig im Leben der Bevölkerung Einfluss übt.
Als die Programmschiene noitaminA im April 2005 an den Start ging, war dies noch mit dem Anspruch verbunden, Animes auszustrahlen, die bewusst anders waren, auch Frauen etwas bieten konnten, Erwachsenen im Allgemeinen, neue Wege gingen. Ob man diesem Anspruch heute noch gerecht wird, darüber darf gestritten werden, nicht wenige beklagen einen ständigen Abwärtstrend der Reihe. Dann und wann trifft man aber doch noch auf eine Serie, die tatsächlich über die üblichen Schemata hinausgeht. Und zu denen darf man sicher Psycho-Pass zählen, die im Oktober 2012 ihre nächtliche Premiere feierte.
Wobei: So ganz neu sind die Elemente nicht. Einflüsse lassen sich finden, bei Realfilmen wie L.A. Confidential, Gattaca und Blade Runner und auch bei den Animes von Mamoru Oshii. Tatsächlich ging die Serie auf den Wunsch des Animationsstudios Production I.G. zurück, früheren Kooperationen wie Ghost in the Shell und Patlabor 2 nachzufolgen. Mit stark technikbestimmten Welten kannte man sich hier also aus, was sich gerade auch in der sehr stimmungsvollen Optik wiederschlägt. Alles ist düster gehalten, wir sind oft nachts unterwegs, in dunklen Gassen und verlassenen Gebäuden, das einzige Licht ist künstlicher Natur. Die Atmosphäre ist also sehr gut geglückt, auch der Detailreichtum der Szenerien lässt nichts zu wünschen übrig. Die Figuren fallen im Vergleich dazu ab, bieten nur die üblichen Standarddesigns inklusive einer kulleräugigen, x-beinigen Protagonistin.
Aber die Menschen sind in dem von Gen Urobuchi entworfenen Szenario eh zweitrangig, da sieht man dann auch darüber hinweg, dass die meisten Figuren nur Beiwerk sind, allein Akane darf eine kleinere Entwicklung durchmachen. Deutlich interessanter ist die Welt an sich und die moralischen Implikationen, die ein solches Rund-um-die-Uhr-Überwachungssystem mit sich bringt. „Zuerst die Strafe, dann das Urteil“, lautete die absurde Forderung der Herzkönigin in „Alice im Wunderland“. In Psycho-Pass ist das erschreckende Realität geworden: Hier spielt es keine Rolle, was du tust, sondern was du tun könntest. Das Urteil des Systems ist absolut, jedem wird dadurch sein Platz in der Gesellschaft zugewiesen.
Immer wieder wird eine Vorverurteilung schon heute kritisch beäugt, durch Terrorangst begründete Überwachungssysteme drängen immer weiter in unser Leben hinein. Psycho-Pass ist da eine ebenso konsequente wie erschreckende Weiterentwicklung. Was, wenn im Namen der allgemeinen Sicherheit nicht nur unser Tun, sondern auch unser Denken und Fühlen für jeden sichtbar gemacht wird? Darf man einen Menschen bestrafen, dessen Verbrechen erst noch bevorsteht? Was geschieht mit unserem freien Willen, wenn die Beurteilung durch ein allumfassendes System erfolgt?
Das ist allerhand Stoff zum Nachdenken, den einem die TV-Originalproduktion da mitgibt, anfangs zudem mit spannenden, teils sehr brutalen Kriminalfällen verknüpft, die in den besten Momenten an Hannibal erinnern. Doch je weiter die Serie voranschreitet, umso stärker gehen diese nachdenklichen Aspekte verloren, Psycho-Pass verkommt zu einer gewöhnlichen Dystopie-Thrillerserie, die viele Klischeemomente abarbeitet. Vor allem zum Ende hin, wenn das Geheimnis hinter Sybil gelüftet wird und statt einzelner Fälle ein großer im Mittelpunkt steht, baut der Anime deutlich ab, schwankt zwischen langweilig und lächerlich. Und das ist äußerst schade, denn das Potenzial zum Klassiker wäre da gewesen. Aber auch wenn der sehr gute Ersteindruck sich nicht über die ganzen 22 Folgen hält, ihren Reiz hat die düstere Zukunftsvision. Das sahen auch die Zuschauer so, welche die Serie zu einem so großen Erfolg machten, dass noch eine zweite Staffel namens Psycho-Pass 2 und der Film Psycho-Pass: The Movie folgten.
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