(„Kaze no Na wa Amunejia“ directed by Kazuo Yamazaki, 1990)
Nachdem die letzten drei Ausgaben unseres fortlaufenden Animationsspecials im Zeichen aktueller Filme und Serien standen, ist in Teil 86 wieder ein etwas älteres Werk an der Reihe, an das sich heute kaum einer mehr erinnern wird – was gleichzeitig verständlich, sehr passend und doch sehr schade ist.
Keiner weiß, woher er so plötzlich kam. Oder auch warum. Genauer wusste niemand mehr etwas, als der mysteriöse Wind über die Werde wehte, die Menschen alles vergessen ließ: ihre Namen, ihre Berufe, ihre Familien, ihre Sprache. Alles, was einmal zum Menschsein gehört, war mit einem Mal davongeweht worden. Der junge Wataru ist einer der wenigen, der sich noch an die früheren kulturellen Errungenschaften erinnern und sie auch nutzen kann. Als er der mysteriösen Sofia begegnet, begeben sich die beiden auf eine Reise quer durch die USA, um andere Überlebende zu finden. Und das, was von der Zivilisation noch übrig ist.
Als Ende der 80er/Anfang der 90er ein erster großer Animeboom den Westen erreichte, wurde fieberhaft nach weiteren Filmen gesucht, welche ins Verkaufsschema passten und somit von dem neuen Trend profitieren konnten. The Wind of Amnesia war da gleich doppelt naheliegend. Zum einen war Science Fiction eines der populärsten Animegenre, Werke wie Akira, Patlabor oder Appleseed gehörten seinerzeit zum Pflichtprogramm. Und dann stammte die Romanvorlage auch noch von Hideyuki Kikuchi, dessen Name durch die Verfilmungen Vampire Hunter D und Wicked City einigen geläufig war.
The Wind of Amnesia war jedoch anders als diese Buchadaptionen, anders auch als die Sci-Fi-Kollegen aus Fernost. Actionsequenzen gab es in dem Film zwar, sogar mehrere. Aber sie standen nie im Vordergrund, waren sogar eher störend. Stattdessen zeigte sich der Anime viel stärker von seiner nachdenklichen Seite, befasste sich mit der Frage, was menschliches Leben eigentlich bedeutet. Und auch: Was würde passieren, wenn die Welt plötzlich wieder von einem Menschen bevölkert würde, der nur noch von Instinkten geleitet wird und mit der Gesellschaft und ihren Objekten nichts anfangen kann? Wäre der überhaupt noch lebensfähig in einer so unnatürlichen Umgebung?
Am ehesten könnte man an der Stelle noch Kino’s Journey zum Vergleich heranziehen, wo ebenfalls ein junger Mensch die Welt bereist und verschiedene Gesellschaftsformen kennenlernt. Dessen Klasse wird hier jedoch nicht erreicht. Auch zeitbedingt – ein 80-minütiger Film bietet nun einmal weniger Raum als eine 4-stündige Serie – geht The Wind of Amnesia kaum in die Tiefe, ist insgesamt auch einfach nicht so abwechslungsreich. Einige der Ideen sind faszinierend, manchmal auch verstörend, zeichnen ein nicht gerade schmeichelhaftes Bild der Menschheit. Da wäre aber doch noch mehr drin gewesen, gerade zum Ende hin, wenn der Film sich von dem Thema wegbewegt und sich stärker auf Sofia konzentriert.
Wenn man dann noch die die ruhige, streckenweise melancholische Atmosphäre hinzunimmt, ist klar, warum The Wind of Amnesia nie die Popularität seiner Kollegen erreichte. Heute ist der Film deshalb auch nur noch relativ schwer zu bekommen, die vor Jahren erschienenen DVDs (teils unter dem Titel A Wind Named Amnesia) sind rar geworden. Und selbst wer eine davon ergattert, muss sich mit den Schwächen eines mittlerweile 25 Jahre alten Films abfinden können: Die visuelle Umsetzung ist nicht berauschend, obwohl sich das Animationsstudio Madhouse (Barfuß durch Hiroshima, Perfect Blue) darum kümmerte, die Designs sind recht altmodisch, die englische Synchronisation ist wie viele aus der Zeit grausam. Dennoch ist die Romanverfilmung ein schönes Beispiel für philosophisch angehauchtere, inhaltlich ambitionierte Animes, wie man sie heute kaum mehr findet. Wer diese schon immer lieber mochte und darüber hinaus auch einer typischen 80er-Jahre-Zeichentrickkunst nicht abgeneigt ist, für den lohnt es sich trotz allem, sich einmal auf die Suche nach dem Film und seinen Antworten zu machen.
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