(„Innocent Lies“ directed by Patrick Dewolf, 1995)
War es Selbstmord? Für Inspector Alan Cross (Adrian Dunbar), der anlässlich der Beerdigung seines Freundes nach Südfrankreich gekommen ist, steht fest, dass da mehr hinter dem plötzlichen Tod steckt. Bei seinen Ermittlungen stößt der Polizist auf die wohlhabende Familie Graves: An deren Spitze steht Helena Graves (Joanna Lumley), eine kaltschnäuzige Witwe, die das Familienvermögen verwaltet und sich ständig in das Leben ihrer Kinder Celia (Gabrielle Anwar) und Jeremy (Stephen Dorff) einmischt. Schon bald ist Alan hin und her gerissen zwischen seinem Verpflichtungsgefühl dem verstorbenen Freund gegenüber und seiner Faszination für Celia. Aber auch die begehrte junge Dame trägt diverse sexuelle Begierden in sich, und das gleich mehreren Männern gegenüber.
Wie die Zeiten sich ändern! In den 80ern gab es einen regelrechten Run auf die Bücher von Agatha Christie, die Auswahl für Fans der Krimikönigin war groß: Gleich fünfmal spielte Peter Ustinov den belgischen Meisterdetektiv Hercule Poirot, Angela Lansbury (Mord im Spiegel 1980), Helen Hayes (Das Mörderfoto 1983) und Joan Hickson (Die Tote in der Bibliothek 1984) versuchten sich an Miss Marple, es gab die Serien Detektei Blunt und Die Agatha Christie Stunde sowie eine ganze Reihe von Einzelfilmen (darunter Das letzte Weekend, Warum haben sie nicht Evans gefragt? und die starbesetzten Filme Tödlicher Irrtum und Mord auf hoher See). In den 90ern hingegen kam fast gar nichts mehr. Hickson hatte noch ein paar letzte Auftritte, David Suchet in der Serie Poirot sogar eine ganze Menge. Filmmäßig gab es jedoch nur zwei Versuche, die zudem kaum beachtet wurden: The Pale Horse und eben Unschuldige Lügen.
Wenn Letzterer ziemlich in Vergessenheit geraten ist, hängt das unter anderem sicher damit zusammen, dass der zugrundeliegende Roman „Kurz vor Mitternacht“ stark verändert wurde. So stark, dass Christies Tochter Rosalind Hicks dem Projekt untersagte, den Originaltitel zu verwenden. Und auch die Figuren mussten alle umbenannt werden, um möglichst die Verbindung zur Autorin zu kappen. Dass selbst eingefleischte Krimifans sich kaum an Unschuldige Lügen erinnern werden, liegt aber nicht nur an dem ungewohnten Titel, auch der Film selbst lässt viele der üblichen Christie-Qualitäten vermissen.
Wer hat den Mord begangen? Und aus welchem Grund? Wie war der Tathergang? Das sind die Fragen, die einem klassischen Whodunnit-Krimi zugrunde liegen. In Unschuldige Lügen interessiert man sich kaum dafür, die Mördersuche macht bald den zwischenmenschlichen Verwicklungen Platz. Und das bedeutet in erster Linie Sex. Zwar muss man sicher nicht so weit gehen, das ganze als Erotik-Thriller zu bezeichnen, für einen Christie-Film gibt es aber doch erstaunlich viel nackte Haut und konkrete Beischlafszenen zu sehen. Vor allem aber kommt es hierbei zu freudigen Bäumchen-wechsle-dich-Spielchen, selbst vor irritierenden Inszestmomenten wird nicht zurückgeschreckt bei dem Versuch, den kleinen Ort zu einem aufregenden Sündenpfuhl zu machen.
Das sieht schick aus, zweifelsfrei, der attraktiven Besetzung wegen und auch der Kulissen, welche den Zuschauer auf eine stimmungsvolle Reise ins Südfrankreich der späten 30er mitnehmen. Ist man für derlei historisch angehauchter Szenarien und Ausstattungen empfänglich, darf man über den schwachen Inhalt eine ganze Weile hinwegsehen. Nur zum Schluss hin wird es schon sehr abstrus, statt eines ausgeklügelten Plots vertraut man hier eher auf menschliche Abgründe. Auch das kann in der richtigen Hand faszinierend sein, überzeugt bei Unschuldige Lügen jedoch kaum, ist zu aufgesetzt und oberflächlich, um einen tatsächlichen Eindruck zu hinterlassen, manchmal zudem ziemlich langweilig.
(Anzeige)