(„Une vie de chat“ directed by Alain Gagnol, Jean-Loup Felicioli, 2010)
Ein neues Jahr, ein altes Phänomen: In Teil 87 unseres fortlaufenden Animationsspecials nehmen wir uns eines aktuelleren Zeichentrickfilms an, der aus unerklärlichen Gründen nie seinen Weg nach Deutschland gefunden hat. Höchste Zeit, den Geheimtipp auch dem hiesigen Publikum einmal vorzustellen.
Tagsüber ein kuscheliges Haustier, nachts ein geschickter Einbrecher – ob Katzen tatsächlich neun Leben haben, ist unbekannt, Kater Dino hat zumindest zwei. Pikanterweise ist sein tageszeitliches Frauchen Zoé, die stumme Tochter der Pariser Polizeikommissarin Jeanne, während nachts der Dieb Nico auf den Vierbeiner achtgibt. Als beide Parteien eines Nachts zusammenkommen, müssen sie feststellen, dass sie noch eine weitere Gemeinsamkeit haben: Gangsterboss Victor Costa. Der hat seinerzeit nicht nur Zoés Vater ermordet, nun hat er es auch auf das Mädchen selbst abgesehen.
Eine Katze im Mittelpunkt eines Verbrechens, da denkt man zumindest hierzulande gern an den Katzenkrimi „Felidae“ von Akif Pirinçci bzw. dessen Zeichentrickumsetzung von 1994 zurück. Trotz thematischer Verwandtschaft, so ganz ist A Cat in Paris nicht mit dem deutschen Kollegen zu vergleichen. Zunächst einmal ist der französischsprachige Nachkomme sehr viel mehr auf ein jüngeres Publikum ausgerichtet. Nicht nur, dass hier mit Zoé ein Kind im Mittelpunkt steht, die damit auch als Identifikationsfigur dient, während in Felidae kein einziger Mensch auftrat, alles aus Sicht der Katzen erzählt wurde. A Cat in Paris ist auch sehr viel weniger brutal: Das einzige Gewaltverbrechen – der Mord an Zoés Vater – liegt Jahre zurück, keiner muss während der erzählten Geschichte Leid erfahren.
Das soll jedoch nicht bedeuten, dass A Cat in Paris ohne Spannung wäre. Die gibt es, etwa in den Verfolgungsjagden, die das letzte Drittel nach einem eher gemütlichen Auftakt dominieren. Dass Zoé nach dem Trauma, ihren Vater verloren zu haben, nicht mehr sprechen kann, ist zudem klassisches Thrillermaterial: Wie soll das kleine Mädchen ihrer Polizistenmutter erzählen, was los ist und in welcher Gefahr sie schwebt, wenn sie mit ihr gar nicht reden kann?
Diese bedrohliche Stimmung wird jedoch durch einen starken Humor ausbalanciert. Immer wieder darf hier gelacht werden, beispielsweise über den Running Gag, dass ein kleiner Hund immer zu kläffen anfängt, wenn Dino in der Nähe ist, und daraufhin den Zorn seines Herrchens zu spüren bekommt. Und auch die nicht allzu kompetenten Schergen von Victor Costa bieten immer wieder Anlass zur Erheiterung. Dadurch wird A Cat in Paris auch für Erwachsene interessant, denen die Geschichte an sich zu simpel und gradlinig ist, denen angesichts des Krimiumfeldes das Rätselknacken fehlt – Überraschungen sind hier rar, man erfährt relativ früh schon alles Relevante.
Dass das Langfilmdebüt von Alain Gagnol und Jean-Loup Felicioli auch für ein älteres Publikum sehenswert ist, liegt darüber hinaus an der wunderbaren Optik des französischen Animationsstudios Folimage (Das Geheimnis der Frösche). Anders als Felidae soll es hier gar nicht allzu realistisch zugehen, vielmehr sind Figuren und Umgebung stark stilisiert: Die Proportionen stimmen nicht, da treffen winzige Füße auf mächtige Oberkörper, die Details sind überschaubar, alles ist ein bisschen schief. Was bei anderen meist auf Zeit- oder Talentmangel zurückzuführen ist, ist hier jedoch Teil eines in sich stimmigen Looks: A Cat in Paris sieht aus wie ein lebendig gewordenes Bilderbuch, mit einem leicht surrealen Einschlag. Das ist so voller Charme und Persönlichkeit, dass man immer wieder auf die Pausetaste drücken möchte, um den Anblick zu genießen. Nur müsste man dann auf die ebenfalls gelungene musikalische Untermalung verzichten, die dem Film gerade zu Beginn eine schöne Neo-Noir-Atmosphäre verleiht.
Leider fand A Cat in Paris trotz einer Oscar-Nominierung zum besten Animationsfilm 2012 keinen deutschen Verleih, ein Schicksal, das der Film mit den meisten anderen Folimage-Werken teilt. Glücklicherweise ist der Zeichentrickgeheimtipp aber problemlos als Import auf Englisch und Französisch zu beziehen. Wer kann, sollte aber auf die Originaltonspur zurückgreifen, und sei es nur, um Bernadette Lafont (Paulette) als fiese Haushälterin zu hören.
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