(„Glue“ directed by Daniel Nettheim, Olly Blackburn and Cathy Brady, 2014)
Overton, das war immer ein Ort gewesen, an dem man sich sicher fühlen konnte. Ein Ort, an dem einem niemand was Böses will. So dachte man. Bis eines Morgens der 14-jährige Cal (Tommy Lawrence Knight) ermordet aufgefunden wird. Seither ist die englische Kleinstadt in heller Aufruhr, vor allem Cals Bruder Eli (Callum Turner) und seine Clique (Jordan Stephens, Billy Howle, Charlotte Spencer, Jessie Cave, Faye Marsay) haben schwer mit dem Vorfall zu kämpfen. Die junge Polizistin Ruth (Yasmin Paige), die einige aus der Clique noch von früher kennt, hat die heikle Aufgabe, den Fall aufzuklären. Dabei stößt sie nicht nur auf diverse dunkle Geheimnisse, es wird zudem nicht bei der einen Leiche bleiben.
Eine Episode entspricht einer in sich geschlossenen Geschichte? Das mag früher einmal so gewesen sein, heute entdecken immer mehr Serien den Luxus, das eigene Format in voller Länge zu nutzen, anstatt bei jeder Folge wieder von vorne beginnen zu müssen. Vor allem im Krimibereich macht sich der Trend bemerkbar, Fälle nicht mehr zum Ende des Tages gelöst haben zu müssen: Während manche Serien (Hannibal, The Blacklist) neben den tagesaktuellen Verbrechen auch eine umfangreichere Rahmenhandlung haben, die sich über die ganze Staffel hinwegzieht, gehen andere in die Vollen, konzentrieren sich auf einen einzigen Fall (Broadchurch, True Detective).
Auch der britische Genrekollege Glue folgt nun diesem neuen Trend, mit den gleichen Vor- und Nachteilen wie bei der Konkurrenz. Anders als bei herkömmlichen Krimiserien heißt es hier, unbedingt von Anfang an dabei zu sein. Zwar gibt es zu Beginn jeder Folge einen kleinen Rückblick. Der allein reicht aber nicht aus, um das Vorangegangene wirklich aufzubereiten, wer mittendrin einsteigt, wird oft nur Bahnhof verstehen. Außerdem würde derjenige die leichten Verschiebungen innerhalb der sozialen Gefüge von Overton verpassen, die dynamischen Bewegungen in den Beziehungen der Jugendlichen nicht mitbekommen. Und diese stehen hier oft im Mittelpunkt, mehr noch als der Fall an sich.
Tatsächlich nutzt Serienschöpfer Jack Thorne (Skins) die Ermordung des Jungen Cal eher als Vorwand, um Stück für Stück das vermeintlich ideale Landleben zu demontieren und einen Blick in die seelischen Abgründe zu werfen. Glücklicherweise vermeidet er es dabei jedoch, sich zu sehr ins Dramatische hineinzusteigern. Ihre kleinen Geheimnisse haben die Jugendlichen, aber sie sind größtenteils vertretbar, nicht ganz so übertrieben wie bei so mancher reinen Jugendsendung. Das liegt womöglich aber gar nicht mal so sehr an der Geschichte selbst, sondern dass hier eine Reihe vielversprechender Nachwuchstalente auftreten, von denen man hoffentlich in Zukunft noch mehr sehen wird, und die ihre jeweiligen Rollen glaubhaft verkörpern.
Während die dramatischen Elemente so überwiegend überzeugen, ist der Krimiteil nicht ganz so sehr geglückt. Zwar hält sich Glue an klassische Tugenden, legt immer wieder falsche Fährten, ist sogar auch recht geschickt darin, die Spannung hochzuhalten. Wirklich belohnt wird diese aber nicht: Die Serie verliert zum Ende hin ihren Fokus, findet plötzlich neue Spuren, die man vorher sehr viel geschickter hätte einflechten können, auch die Auflösung ist eher unbefriedigend. Die in der letzten Zeit so beliebte Mischung aus Krimi und Drama, sie ist also auch hier nicht wirklich rund geworden. Gut ist das Ergebnis insgesamt aber trotz der kleinen Schönheitsmakel, die sechs Stunden, die man zum Durchschauen der kompletten Serie braucht, sind schneller um, als einem lieb ist.
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