(„Lichtgestalten“ directed by Christian Moris Müller, 2015)
Sie haben erfolgreiche Jobs, eine schicke Wohnung, treue Freunde. Sie haben sich. Und doch haben sie nichts, so sagt dem Paar Steffen (Max Riemelt) und Katharina (Theresa Scholze) das eigene Gefühl. Nichts ist von Bedeutung, die Karriere nicht, die Besitztümer schon gar nicht. Ein Neuanfang muss her, so der Traum, mit neuer Identität, neuem Wohnort, neuen Freunden. Nur so können sie sich frei machen. Während sie anfangen, alle materiellen Spuren von sich zu beseitigen, Geld zu verschenken und sich dabei auf Kamera festzuhalten, kommen ihnen aber immer wieder Zweifel, ob sie tatsächlich das Richtige tun.
Im Horrorgenre ist das Found-Footage-Prinzip – die Geschichte wird durch Kameraaufnahmen erzählt – seit Jahren fest etabliert, auch im Science-Fiction-Bereich (Europa Report, Outpost 37) oder Komödien (Project: Babysitting, Project X) finden sich immer mal wieder Vertreter. Aber ein Drama? Das hat wirklich Seltenheitswert, da dort normalerweise die Personen im Mittelpunkt stehen und nicht die Inszenierung. In Lichtgestalten ist das anders, was gleichzeitig unnatürlich und natürlich wirkt. Denn hier wird nicht einfach die Geschichte zweier Menschen erzählt, sondern die zweier Menschen, die sich selbst neu erfinden wollen und sich so zum Inhalt ihrer eigenen Inszenierung machen.
„Ihr seid doch Faker“, schreibt ein Unbekannter dann auch als Reaktion auf die ersten Videos, welche die beiden ins Netz stellen. Ein bloßer Internetreflex oder ist da doch mehr dran? Das weiß man hier gar nicht so genau, da auch Steffen und Katharina letztendlich nicht wissen, wer sie sind. Unabhängig von Job, Wohnung und Freunden. Unabhängig von sich. Diese Form der Selbstzweifel dürfte jeder schon einmal gehabt haben, die Sehnsucht sich selbst zu finden, indem man sein altes Leben einfach komplett hinter sich lässt und woanders neu anfängt. Dass sie dabei an einer Stelle mit einer Sparkassenangestellten sprechen, die ihnen erzählt, sie habe selbst immer wieder daran gedacht, lässt Protagonisten und Zuschauer natürlich schmunzeln und ist doch auch wieder bezeichnend. Die ersehnte Radikalität, sie ist als Hoffnung allein nicht wirklich radikal.
Aber ist sie denn umsetzbar? Darüber schweigt sich Regisseur und Drehbuchautor Christian Moris Müller aus, so wie er auch nicht verrät, woher die Selbstentfremdung der beiden kommt. Das Drama ist eines der Fragen, weniger der Antworten, eines das sucht, anstatt zu finden. Eines, das auch beim Drumherum sucht, bei seinen Bildern und Perspektiven, immer wieder experimentiert, dabei immer wieder verblüfft und fasziniert. Eines, das eben dadurch aber auch frustrieren kann, weil es einen mit seinen Gedanken alleine lässt und man nicht ganz schlau draus wird, was der Film nun eigentlich beabsichtigt.
Soll er ermuntern? Die Hoffnung rauben? Einfach nur zeigen, wie universell der Wunsch nach einem Neuanfang ist? Sich darüber lustig machen? Zumindest lässt er einen nachgrübeln, über sich, über das eigene Verhältnis zur Umwelt. Darüber, was denn nun eigentlich zählt. Dass Müller dabei mit Max Riemelt und Theresa Scholze ein wunderbares Filmpaar geschaffen hat, kommt Lichtgestalten nur zugute. Wenn sie herumalbern, Möbel auseinandernehmen oder auch nur träumen, ist das so mitreißend und lebensnah, dass man ihnen ewig dabei zusehen möchte. Wer auch immer sie nun sind.
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