Tatami Glaxy
© The Tatami Galaxy Production Committee

„Yojōhan Shinwa Taikei“ directed by Masaaki Yuasa, 2010)

Tatami GlaxyLetzte Woche begleiteten wir in Anomalisa einen Mann mittleren Alters, der trotz beruflicher und privater Erfolge mit seinem Leben hadert. Auch in der 90. Ausgabe unseres fortlaufenden Animationsspecials steht ein Herr im Mittelpunkt, der gar nicht glücklich ist und alles gern anders gehabt hätte – was hier auf eine nicht minder ungewöhnliche Art und Weise demonstriert wird.

Wäre doch dieser verdammte Ozu nicht gewesen, der ihn ständig auf dumme Gedanken gebracht hat! Oder hätte er sich doch für einen anderen Club entschieden! Dann wäre alles anders gekommen, dessen ist sich der namenlose Student einer Uni in Kyoto sicher. Vielleicht hätte wäre er sogar seiner Traumfrau begegnet, nach der er sich so sehnt, hätte die rosarote Unizeit genießen können. So aber klappt nicht wirklich etwas bei ihm. Und schlimmer noch: Es macht keinen wirklichen Unterschied. Welche Entscheidung er auch trifft, am Ende geht doch wieder etwas schief.

Jeder dürfte sich schon einmal gefragt haben, wie das eigene Leben wohl verlaufen wäre, hätte man die eine Entscheidung anders getroffen, wäre an jenem Tag woanders gewesen. Manch einer wird sich sogar wünschen, er hätte die Gelegenheit, noch einmal die Zeit zurückzudrehen, bis zu jenem Moment, und dieses Mal alles anders zu machen. Denn das Glück, das war immer nur einen kleinen Schritt entfernt. Auch The Tatami Galaxy, die Verfilmung eines Romans von Tomihiko Morimi, ist von diesem Wunsch geprägt. Nur dass der hier tatsächlich erfüllt wird – zur großen Verwirrung des Zuschauers.

Alles auf Anfang heißt es zu Beginn der elf Folgen, welche die Serie bilden. Der namenlose Protagonist steht wieder da, wo er vorher schon war, entscheidet sich dieses Mal jedoch für einen anderen Weg: Er tritt einem anderen Club bei, wählt eine andere der potenziellen Partnerinnen. Was in den Folgen zuvor passiert ist, das ist vergangen. Oder besser: Es ist nie passiert. Die größtenteils für sich stehenden Episoden zeigen vielmehr die verschiedenen Wege auf, wie das Leben des Studenten tatsächlich weitergegangen wäre. Warum The Tatami Galaxy ständig zurückspringt, wird nicht erklärt. Es wird nicht einmal wirklich gesagt, dass es passiert. Es gibt kein Datum, das eingeblendet wird, kein Wecker und musikalischer Gruß wie in … und täglich grüßt das Murmeltier, um den Kontext zu geben. Der Zuschauer wird hier ziemlich allein gelassen.

Aber dem Protagonisten geht es ja auch nicht anders: Ihm fehlen das Bewusstsein und das Wissen um seine Zeitschlaufe, er lebt jeden Tag, als wäre er tatsächlich ein neuer – sieht man von wiederkehrenden Déjà-vu-Momenten ab. Die sind oft recht witzig, besonders die zu Wucherpreisen neigende Wahrsagerin, der wir fast jede Folge begegnen, so wie The Tatami Galaxy trotz seines ernsten Themas allgemein stärker zur Komödie neigt. Der Wunsch nach einem Neuanfang mag alltäglich sein, die Folgen sind es nicht. Immer wieder geht hier alles schief, das Chaos wird immer größer, die Situationen immer absurder, die Figuren immer skurriler. Gerade zum Ende hin wird es so abgefahren, dass wir jede Bodenhaftung verlieren.

Der spielerische Umgang mit dem Thema spiegelt sich auch in der visuellen Gestaltung wieder. Rosarot soll das Leben des Studenten werden, wenn es nach ihm geht. Zu sehen bekommen wir die Farbe aber selten. Oft ist da sogar überhaupt keine Farbe, und wenn doch, dann ist es irgendwie die falsche: Nichts an The Tatami Galaxy wirkt real, alles ist schief, verzerrt, die Perspektiven, die Hintergründe. Nicht einmal die Figuren sehen immer normal aus, Ozu wird hier zum einem dämonengleichen Unglücksbringer. Masaaki Yuasa, der schon in Mind Game ein experimentelles Feuerwerk losgelassen hat und sich hier mit dem Traditionshaus Madhouse (The Irregular at Magic High School, Record of Lodoss War) zusammengetan hat, lässt sich erneut nicht auf eine bestimmte Optik festlegen, kombiniert verschiedene Stile, wo es nur geht, baut auch schon mal (verfremdete) Realaufnahmen ein.

Doch trotz des psychedelisch-surrealen Äußeren und der wild umhereilenden Geschichte – The Tatami Galaxy ist für seine maschinenpistolenschnellen Dialoge berüchtigt –, die Serie hat auch inhaltlich einiges zu bieten. Zwar gibt es hier aufgrund des unwissenden Protagonisten keine lineare Entwicklung, wie man sie von anderen Zeitschlaufenfilmen kennt. Aber auch ohne diese hat die im Rahmen des alternativen Animeblocks noitaminA ausgestrahlte TV-Produktion viele interessante Aspekte, die einen über das eigene Leben nachgrübeln lassen. Wie viel von meinem Leben ist meine Verantwortung, wie viel die der anderen? Sind einzelne Punkte wirklich entscheidend für das Ergebnis? Aber auch: Wie nehme ich das Leben eigentlich wahr? Dass hier vieles nicht ganz so ist, wie es scheint, wird schon durch die übertriebenen Erlebnisse des Studenten klar. Aber wie sehr dessen Leben erst durch seine Perspektive zu eben diesem Leben wird, das schimmert erst am Ende durch, wenn sowohl der Protagonist wie auch der Zuschauer um erstaunlich erwachsene Erkenntnisse reicher ist. Und auch um eine Erfahrung, wie sie der Animebereich nur selten bietet.



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Der Zeitschlaufenanime verwirrt zunächst durch nicht erklärte Alternativgeschichten und seine wilde Inszenierung. Mit der Zeit stellen sich aber in „The Tatami Galaxy“ doch diverse Erkenntnisse ein, der Anime wird zu einer faszinierenden und witzigen Reflexion über Eigenverantwortung, Schicksal und Wahrnehmung.
8
von 10