Wintergast
© déjà vu Filmverleih

Wintergast

(„Wintergast“ directed by Matthias Günter and Andy Herzog, 2015)

Wintergast
„Wintergast“ läuft ab 21. Januar im Kino

Am Ende seines Studiums waren die Aussichten für Stefan Keller (Andy Herzog) noch glänzend: Sein Kurzfilm wird gefeiert, eine Produzentin nimmt ihn gleich unter Vertrag, er hat auch schon eine Idee für seinen ersten Spielfilm. Einige Jahre später ist es bei dieser Idee aber auch geblieben, mehr als einen Satz hat er in der Zeit nicht geschrieben. Als ihm sein Vater dann auch noch die Mittel kürzt und er plötzlich ohne Geld dasitzt, ihn darüber hinaus seine Freundin verlässt, beschließt er erst einmal einen Job anzunehmen. Übergangsweise. Im Auftrag eines Magazins reist er durch die Schweiz und testet anonym Jugendherbergen, trifft dabei die unterschiedlichsten Leute und versucht, doch noch sein Projekt abzuschließen, bevor seine Produzentin den Vertrag auflöst.

Wer einmalig oder gar häufiger an längeren Texten sitzt, sei es jetzt im kreativen Bereich oder für die Universität, der kennt den zuweilen lähmenden Anblick eines weißen Bildschirms. Da wo so viel Platz wäre für eigene Gedanken, ist plötzlich zu viel, von den vielen Möglichkeiten überwältigt, herrscht im Kopf und vor einem nur gähnende Leere. Das Kreativduo Matthias Günter und Andy Herzog – beide schrieben das Drehbuch und führten Regie, Herzog übernahm zudem die Hauptrolle – schafft es auch sehr schön, den Zustand anhand von Stefan herauszuarbeiten. Wenn er seinen Laptop hin und her rückt, an Satzzeichen werkelt, nur um Sekunden herauszuholen, in denen er noch daran glauben kann, dass es gleich losgeht, dann kommt einem das mehr als bekannt vor.

Da liegt der Verdacht nahe, dass hier zwei Filmschaffende aus dem Nähkästchen plaudern und eigene Traumata verarbeiten. Verstärkt wird dieser Eindruck noch durch den dokumentarischen Charakter des Werks. Da wird an einer Stelle das Gesicht eines Mitarbeiters verpixelt, wir kriegen Momentaufnahmen von Figuren, die anschließend gleich wieder verschwinden, von denen wir auch gar nicht so genau wissen, wer sie eigentlich sind. Zufallsbegegnungen, wie sie das Leben eben schreibt, Zwischenstationen auf der Suche nach sich selbst.

Ganz sicher kann man sich dabei aber jedoch nie sein, dafür sind manche der Leute dann doch zu kurios. Das erinnert an Ulrich Seidls Im Keller, das ebenfalls an der Grenze zwischen Dokumentar- und Spielfilm umherwandelte und dabei reichlich skurril wurde. Nur dass wir hier eben nicht durch Kellerlandschaften ziehen, sondern Jugendherbergen. Das ist in Verbindung mit den Landschaftsaufnahmen auch durchaus schön anzusehen, eingefangen in präzisen, leicht melancholischen Schwarz-Weiß-Bildern. Die Abwechslung ist hingegen weniger hoch, Wintergast schlingert anderthalb Stunden umher, ohne wirklich irgendwo anzukommen.

Das ist natürlich auch der Geschichte geschuldet, die ja gerade darstellen will, was es heißt, in einer leeren Seite gefangen zu sein, ohne voranzukommen. Das ist als Idee interessant, als Film insgesamt eher weniger, da hätte es doch irgendwie mehr gebraucht. Immerhin verzichten Günter und Herzog darauf, ins „Verlierer zeigt es allen“-Klischee zu verfallen, bis zum Schluss bleiben sie ihrer Linie treu. Seine Faszination hat Wintergast dann auch, der Film erzählt ruhig von der Suche nach der eigenen Stimme. Wer diese Art Geschichten zu schätzen weiß, sich vielleicht auch mit der Situation identifizieren kann, sollte dem kleinen Schweizer Export im Kino mal eine Chance geben.



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Was tun, wenn einem beim Schreiben nichts einfällt? „Wintergast“ zeigt sehr authentisch, was es heißt, in einem kreativen Loch zu stecken, garniert das Ganze noch mit kuriosen Begegnungen und schönen Schwarz-Weiß-Bildern. Die Abwechslung ist jedoch eher gering, eine echte Entwicklung gibt es hier nicht.
6
von 10