(„Deadpool“ directed by Tim Miller, 2016)
Da lief es gerade so gut im Leben von Wade Wilson (Ryan Reynolds), und dann das: Krebs im Endstadium, ohne Chance auf Heilung. Ein mysteriöser, in Schwarz gekleideter Mann, der ihn kurze Zeit später in einer Bar anspricht, schlägt ihm daraufhin einen Deal vor: Wade solle bei seinem geheimen Projekt mitmachen, welches Menschen Superkräfte verleihe und so auch ihn vor dem sicheren Tod bewahren könne. Zunächst misstrauisch lässt sich Wade darauf ein, muss jedoch erkennen, dass da ein paar unschöne Details im Kleingedruckten sind. Nicht nur, dass er anschließend als Söldner weiterverkauft werden soll, die Mutation ist mit großen Schmerzen und einer Verunstaltung seines Körpers verbunden. Sein bisheriges Leben mit Vanessa Carlisle (Morena Baccarin) kann er daraufhin vergessen, stattdessen sinnt der fortan in einem rot-schwarzen Latexanzug durch die Gegend laufende Exsöldner auf Rache. Und dabei hat er auch ein konkretes Ziel vor Augen: der sadistische Ajax (Ed Skrein), welcher das Experiment an ihm durchgeführt hat.
Lange haben wir auf den ersten großen Soloauftritt der Marvel-Figur Deadpool warten müssen. In Planung war dieser schon vor über einem Jahrzehnt gewesen, 2004, auch damals schon mit Reynolds in der Hauptrolle. Daraus wurde jedoch nichts, lediglich eine Nebenrolle in X-Men Origins – Wolverine: Wie alles begann sprang dabei raus. Und die war nur zum Teil mit der Comicvorlage zu vergleichen. Jetzt, 25 Jahre nach seinem gezeichneten Debüt, ist es endlich so weit und der rot-schwarze Unhold darf zeigen, dass in der Flut aus Superheldenfilmen noch Platz für einen weiteren ist. Zumindest wenn er so anders ist als hier.
„Ich bin super, aber kein Held“, verkündet Deadpool relativ früh im Film. Und das ist dann auch wörtlich zu nehmen. Skrupel? Ehrenkodex? Mitgefühl? Das sind für den auf Rache sinnenden Anti-Helden Wörter ohne Bedeutung, Gegner sind dazu da, abgeschlachtet zu werden. Und das darf man hier durchaus wörtlich nehmen: Wo in Avengers und Co. die feindlichen Heerscharen recht unspektakulär zu Boden gehen, wird in Deadpool das Töten zelebriert, die bösen Buben erschossen, aufgespießt, geköpft und in Stücke zerhackt. Wer aufgrund des betont familienfreundlichen Auftritts der Marvel-Kollegen Kinder mit ins Kino mitnehmen möchte, darf diesen über weite Strecken die Augen zuhalten.
Und die Ohren noch dazu: Nicht nur, dass Flüche hier an der Tagesordnung sind, der Film wimmelt von sexuellen Anspielungen und einem sehr derben Humor. Gelacht werden darf beim Marvel Cinematic Universe ja auch, hier verdrängen die Gags zeitweise aber alles andere, Deadpool ist nur durch das Kostüm noch von dem pubertären Spaß von Das ist das Ende und Konsorten zu unterscheiden. Mit diesem teilt der gutgelaunte Rachefeldzug auch seinen großen Anteil an Selbstironie, welche teilweise wie in der Vorlage die vierte Wand durchbricht und direkt den Zuschauer anspricht. Schon im Vorspann macht sich das gesamte Team über sich selbst lustig, auch später wieder ist man sich der eigenen Unzulänglichkeiten bewusst.
Eine davon betraf offensichtlich das Budget, welches so gering war, dass bis auf die eher unbekannten Colossus (Stefan Kapicic) und Negasonic Teenage Warhead (Brianna Hildebrand) sich niemand von der Mutterreihe X-Men blicken lässt. Und auch die Actionszenen sind deutlich kleiner angelegt, recht schnell vorbei und nicht übermäßig abwechslungsreich. Eigentlich wirbelt Deadpool nur ständig durch die Luft, erschießt oder ersticht dabei jemanden. Insgesamt ist Deadpool ein recht genügsamer Film, der sich weder bei der Geschichte, noch den Figuren ein Bein ausreißt (das macht er nur bei anderen), sich zu sehr darauf verlässt, anders zu sein, hierbei jedoch keine Variation zulässt. Auf Dauer ist der Rachefeldzug deshalb schon ein wenig eintönig geworden, im Laufe von 107 Minuten nutzt sich die Kombination aus Blutfontänen und groben Witzen ab. Die meiste Zeit über wird man hier aber seinen Spaß haben – wie ihn auch Reynolds ganz offensichtlich hatte –, das Experiment, aus den etablierten Schemata auszubrechen, ist gelungen, das Super-Superheldenjahr (insgesamt sieben Marvel- und DC-Verfilmungen sind für 2016 geplant), beginnt hoffnungsvoll.
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