(„Fortitude – Season one“ directed by Sam Miller, Richard Laxton, Hettie MacDonald, Nick Hurran, 2015)
Ob Dan Andersen (Richard Dormer) ein guter Sheriff sei? Das könne keiner sagen, denn in Fortitude gibt es keine Verbrechen. Und damit keine Gelegenheit sich zu beweisen. Dann muss sich die 800-Seelen-Gemeinde im arktischen Norwegen aber gleich mit zwei plötzlichen Todesfällen auseinandersetzen: Zuerst wird der Geologe Billy Pettigrew von einem Eisbären zerfleischt, danach fällt Wissenschaftler und Umweltschützer Charlie Stoddart einem brutalen Mord zum Opfer. Der aus London eingeflogene Detective Chief Inspector Eugene Morton (Stanley Tucci) soll in der Sache ermitteln, was nicht nur Andersen ziemlich gegen den Strich geht, sondern auch Fortitudes Gouverneurin Hildur Odegard (Sofie Gråbøl). Denn die will mithilfe eines aus Eis gehauenen Hotels Touristen anlocken. Und da kann sie solche Schreckensnachrichten wirklich nicht gebrauchen.
Dass das Zentrum des Krimiuniversums sich in den letzten Jahren Richtung Norden verschoben hat, immer mehr kaputte Ermittler aus Skandinavien in düsteren Fällen ermitteln, das ist nicht wirklich ein Geheimnis. Aber so weit im Norden wie in Fortitude ging es dabei nur selten zu: Im ewigen Eis gelegen erfrischt die Serie mit einem Szenario, das einem wirklich nur selten auf den Bildschirm kommt. Der ungewöhnliche Schauplatz bringt dann auch zwei Vorteile mit, um sich von der zahlreichen Genrekonkurrenz abzuheben. Zum einen wären da die Bilder, die mit ihren unendlich weißen, majestätischen Landschaften nicht von dieser Welt zu sein scheinen und vor denen man wie hypnotisiert die Zeit vergisst – unterstützt auch durch den unterkühlten Score von Ben Frost. Zum anderen lässt sich damit auch die Spannung gut erhöhen. Wer an einem Ort lebt, der ohne Flugzeug oder Boot nicht zu verlassen ist, der ist Bedrohungen hilflos ausgeliefert.
Und von denen gibt es in Fortitude mehr als genug: Kälte, Eisbären und ein Mörder. Oder waren es doch mehrere? Hängen der Tod von Pettigrew und jener von Stoddart vielleicht doch irgendwie zusammen? Sehr geschickt wird hier mit Erwartungen gespielt, falsche Fährten gelegt, neue Verdächtige präsentiert. Serienschöpfer Simon Donald gönnte sich dabei den Luxus, im Stil von True Detective oder Broadchurch die gesamten zwölf Folgen einem Fall – möglicherweise auch zwei – zu widmen, nach und nach seine Geschichte zu erzählen. Das Tempo ist daher eher gemütlich, zumal man auch in anderer Hinsicht der Konkurrenz nacheiferte: Fortitude ist Krimi und Drama in einem, widmet den Figuren ebenso viel Zeit wie dem mörderischen Treiben.
Das Ergebnis der Nabelschau ist aber nur in Teilen überzeugend. Die Auseinandersetzungen zwischen Andersen und Morten sind spannend, skurrilere Nebenfiguren wie der krebskranke Forscher Henry Tyson (Michael Gambon), der von anderen belächelte Doktorand Vincent Rattrey (Luke Treadaway), die übergewichtige Klatschtante Shirley Allerdyce (Jessica Gunning) und deren zu sonderbaren Vorlieben neigende Partner Markus Huseklepp (Darren Boyd) lockern das Geschehen merklich auf. Die diversen Liebesdreiecke und außerehelichen Fremdgänge sind aber schon ein wenig inflationär gebraucht, manche Figuren sind auch kaum nachvollziehbar. Warum hier beispielsweise so viele zur Gewalt neigen, schon bei kleinsten Gelegenheiten andere bewusstlos schlagen, erklärt sich nicht wenig. Vielleicht meinte man, die Serie durch ein bisschen Brutalität aufwerten zu müssen, an manchen Stellen wird es schon sehr explizit, ein robuster Magen ist da nicht verkehrt.
Dabei fesselt Fortitude durch seinen hohen Mysteryfaktor auch so. Nicht alles davon ist am Ende auch stimmig, gerade zum Ende hin häufen sich die Logiklöcher und Zufälligkeiten, einiges wird nie wirklich zufriedenstellend erklärt. Dafür dürfte die britische Produktion eine der wenigen in der letzten Zeit sein, bei der sich selbst ausgebuffte Rätselknacker die Zähne ausbeißen werden, die Auflösung kommt schon recht überraschend. Dass es dabei an vielen Stellen an Feinschliff fehlt, ist bedauerlich, ebenso dass die internationale Zusammensetzung der Bevölkerung kaum einen Einfluss auf die Sprache hat – da treffen Engländer auf Russen, Spanier auf Norweger. Freunde personenbezogener Kriminalgeschichten dürfen sich dennoch die atmosphärisch dichte Serie nach Hause holen und schon einmal auf Staffel zwei freuen, die in Arbeit ist.
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