(„Mustang“ directed by Deniz Gamze Ergüven, 2015)
Es war nicht mehr als ein harmloser Spaß, als die fünf Schwestern Lale (Güneş Nezihe Şensoy), Nur (Doğa Zeynep Doğuşlu), Ece (Elit İşcan), Selma (Tuğba Sunguroğlu) und Sonay (İlayda Akdoğan) zusammen mit ein paar Jungs im Meer herumalbern. Eine missmutige ältere Nachbarin war die Ausgelassenheit dennoch zu viel, schlug Alarm angesichts des unwürdigen, sündigen Verhaltens. Onkel Erol (Ayberk Pekcan), bei dem die fünf nach dem Tod ihrer Eltern aufwachsen und der sehr um seinen Ruf im kleinen türkischen Dorf besorgt ist, beschließt daraufhin, ganz andere Seiten aufzuziehen: Die Mädchen dürfen fortan nicht mehr das Haus verlassen, sollen zu guten Hausfrauen erzogen und sobald wie möglich verheiratet werden. Auch gegen ihren Willen.
Aus der Türkei dringen beunruhigende Nachrichten von einer steigenden Entliberalisierung zu uns, die sexuellen Übergriffe an Silvester 2015 in Köln heizten die Stimmung gegen Flüchtlinge an – da ist ein Film über unmenschliche Frauenunterdrückung natürlich Wasser auf den Mühlen der Ausländerkritiker. Ein bisschen einfach macht es sich Regiedebütantin Deniz Gamze Ergüven, welche in der Türkei geboren wurde und in Frankreich aufwuchs, dann auch hier, hält sich sowohl bei der Geschichte wie auch den Figuren ganz gerne mal an Klischees. Die Absicht hinter Mustang ist dann auch klar, hier soll das Patriachat und überholte Traditionen an den Pranger gestellt werden. Erfolgreich ist die junge Filmemacherin dabei sicherlich, innerlich schwankt man zwischen Entsetzen, Mitleid und blanker Wut.
Sonderlich subtil geht sie bei dem Film jedoch beim allem Verständnis nicht vor. Wenn der Onkel Fenster und Türen barrikadiert, das Zuhause immer mehr einer Festung gleicht, dann ist das schon ein sehr plakatives Bild, um die Situation der Mädchen zu verdeutlichen. Und so richtig nachvollziehbar ist die Geschichte in einzelnen Szenen auch nicht. Ein Beispiel: Da wird den fünf jedes Lachen verboten, sie dürfen aber in freizügiger Kleidung zu Hause herumlaufen. Oder auch: Eines der Kinder kann problemlos Nacht für Nacht aus dem Haus schleichen, wenn es drauf ankommt, aber nicht. Hinzu kommen gehäufte Zufälligkeiten, wie man sie eben nur aus Filmen kennt, nicht aber aus dem Leben.
Es ist daher weniger das „was“, welches Mustang so auszeichnet, sondern das „wie“. Die lichtüberströmten Aufnahmen der türkischen Provinz wirken auch deshalb so stark, weil sie in einem so starken Kontrast zu dem unschönen Leben der Mädchen stehen. Das Glück, so scheint es, ist immer nur einen Schritt entfernt, die ursprüngliche Natur und das rauschende Meer, sie laden zum Verweilen und Träumen ein. Und mehr als Träumen ist für Lale und die anderen nicht drin. Eine der schönsten Szenen ist dann auch, wenn die Kinder sich in ihre Betten werfen, umringt von Decken herumkraulen und sich vorstellen, sie wären irgendwo da draußen, im Wasser, frei, sie selbst.
Immer wieder finden sich solche kleine Ruhepausen, in denen die Welt trotz der düsteren Perspektive heil erscheint, gut und lebenswert. Wunderbar sind sie allgemein, diese Momente, in denen die Mädchen unter sich sind, sich necken, streiten oder auch nur miteinander kuscheln, sie auf dem Weg ins Erwachsenenalter noch Kind sein dürfen. Begleitet von einer schönen und zurückhaltenden Musik gewinnt Mustang eine zärtliche Natur, wie man sie nur selten zu sehen bekommt und die das oscarnominierte Drama („Bester fremdsprachiger Film“) zu einem vielversprechenden Debüt machen, für die Regisseurin wie die Nachwuchsdarstellerinnen. Und das Herz bekommt bei dem leidenschaftlichen Plädoyer für freie Entfaltung ohnehin immer mal wieder was zu tun.
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