(„Dólares de Arena“ directed by Israel Cárdenas, Laura Amelia Guzmán, 2014)
Seit drei Jahren nun sind Anne (Geraldine Chaplin) und Noelí (Yanet Mojica) schon ein Paar, wie es ungleicher nicht sein kann. Anne ist Französin, wohlhabend, jenseits der 70, Noelí um die zwanzig, mittellos, Dominikanerin. Während Anne in ihrer jungen Partnerin den Schlüssel zum Glück sieht, bedeutet für Noelí das Zusammensein vor allem materielles Überleben – schließlich muss sie nicht nur sich, sondern auch ihren arbeitslosen Freund Yeremi (Ricardo Ariel Toribio) versorgen, den sie Anne gegenüber immer als Bruder ausgibt. Ihm soll Noelí dann auch Geld schicken, wenn sie – so der Plan – mit der alten Dame nach Paris auswandert. Doch je näher der Tag des Abschieds rückt, umso komplizierter gestaltet sich die Dreiecksbeziehung.
Neu ist das Phänomen des Sextourismus nicht, wenn ältere Menschen aus dem Westen in ärmere Gebiete fahren, um sich dort jüngere, oft deutlich jüngere, zu kaufen. Darüber empören darf man sich über die moderne Form der Kolonisierung aber immer noch, wie es Ulrich Seidl in seinem umstrittenen Paradies: Liebe auch ausgiebig getan hat. Sand Dollars, eine freie Adaption des gleichnamigen französischen Romans von Jean-Noël Pancrazi, ähnelt dem Werk des österreichischen Kollegen auf den ersten Blick, zeigt aber schon schnell Unterschiede. Die auffälligsten betrifft das Szenario: Statt Kenia ist hier die Dominikanische Republik der Schauplatz, im Mittelpunkt stehen diesmal zwei Frauen anstatt einer Frau, die Jagd auf Jungs macht. Doch die eigentlichen Unterschiede, die liegen tiefer.
So ist das Verhältnis von Anne und Noelí deutlich ambivalenter, die eindeutige Einteilung in Opfer und Täter will hier nicht so recht funktionieren. Noelí, das ist nicht das wehrlose, kleine Mädchen in den Fängen eines westlichen Raubtiers. Ihre Bekanntschaft machen wir, als sie einem älteren Herren Geld und eine Kette abschwatzt – als Erinnerung an ihn –, diese im nächsten Moment gleich wieder verkauft. Sie ist stolz, ein bisschen skrupellos, auch Anne gegenüber, zeigt nicht allzu viel Gefühl – weder ihren Gönnern gegenüber, noch ihrem Freund. Anne wiederum wirkt mit ihrem hohen Alter und dem hageren Körper zerbrechlich, der jungen Frau hilflos ausgeliefert und verfallen, möchte dieser wirklich etwas Gutes tun.
Ist Sand Dollars also einfach nur eine Umkehrung der sonstigen Rollenmuster? Ganz so einfach machen es sich die beiden Regisseure Israel Cárdenas und Laura Amelia Guzmán dann doch nicht, denn beide Frauen dürfen sich auch von einer gegensätzlichen Seite zeigen, erleben Momente der tatsächlichen Zärtlichkeit, das Filmemacherduo lässt mal die eine, dann die andere Frau im guten/schlechten Licht erscheinen. Dafür braucht es nicht einmal eine große Handlung oder viele Worte, beides wird in dem Drama nämlich nur sparsam eingesetzt. Über Noelís Hintergrund erfahren wir nichts, über Anne nur, dass sie aus unbekannten Gründen mit ihrem Sohn zerstritten ist. Das mag man als Erklärung für ihr Nähebedürfnis gelten lassen, für ihre Sehnsucht, einen Platz zu haben, geliebt zu werden.
Man muss es aber auch nicht, denn Erklärungen sind nicht das Anliegen des Films, auch keine Urteile über die Figuren oder den Sextourismus als solchen. Vielmehr ist Sand Dollars ein sehr ruhiges, natürliches Drama über zwei Frauen, die auf unterschiedliche Weisen voneinander abhängig sind. Eines, das von Sehnsucht handelt, von traumhaften Landschaften, welche die Kulisse für realitätsfremde Lebensträume bilden. Einen wirklichen Plan hat hier niemand, man lebt und hofft auf Besseres, Es sei eine ihrer besten Rollen gewesen, sagte Schauspielveteranin Geraldine Chaplin über ihre Anne. Ob man da tatsächlich so weit gehen muss, das sei mal dahingestellt, aber die Grande Dame bekommt hier die Gelegenheit, mit kleinen Gesten und Blicken eine berührende Geschichte zu erzählen, bei der das Geschlecht der Figuren erstaunlich beiläufig ist. Das ist weniger für die Zuschauer gedacht, bei denen Romanzen mit überlebensgroßen Gefühlen und dramatischen Szenen einhergehen müssen, der umwerfende Pathos von Carol etwa, der fehlt hier völlig. Freunde großer Schauspielkunst sollten sich die minimalistische Romanverfilmung aber einmal auf ihre To-Do-Liste setzen.
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