(„Sibylle“ directed by Michael Krummenacher, 2015)
Endlich Urlaub! Die letzte Zeit war für Sibylle (Anne Ratte-Polle) sehr arbeitsam gewesen, umso mehr freut sie sich auf den gemeinsamen Italienurlaub mit ihrem Mann Jan (Thomas Loibl) und den beiden Söhnen David (Dennis Kamitz) und Luca (Levi Lang). So richtig will das mit der Entspannung aber nicht funktionieren, was zum einen an ihrer Familie, vor allem aber auch an ihr selbst liegt. Als sie eines frühen Morgens alleine umherwandert, begegnet sie einer Frau, die sich kurz darauf von den Klippen stürzt. Traumatisiert von dieser Erfahrung wird Sibylle immer häufiger von seltsamen Visionen heimgesucht. Eine weitere Folge des Stresses? Oder steckt da doch mehr dahinter?
Ungewöhnliche Independentproduktionen den Weg ins deutsche Kino zu ebnen, das ist das erklärte Ziel des noch jungen Filmverleihs Eksystent Distribution. Nach dem polnischen Ich heiße Ki über eine überforderte junge Mutter und dem dänisch-britischen Dorf der verlorenen Jugend, der von einer Reihe mysteriöser Selbstmorde handelt, wurden die Talentscouts nun auch in der Heimat fündig. Fast zumindest. Während Sibylle in Deutschland entstand, stammt Regisseur und Ko-Autor Michael Krummenacher aus der Schweiz. So oder so, angesichts des noch immer herrschenden Vorurteils dem deutschen Genrefilm gegenüber, darf man sich über jeden Vertreter freuen, der nicht für die Videothek oder gar die Schublade produziert wurde, sondern auch das Licht der großen Leinwand erblickt.
Zumal Krummenacher und sein Team hier sehr kompetent vorgehen, aus dem geringen Budget eine erstaunliche Menge herausholen: Mit dem geschickten Einsatz von unheimlicher Musik, seltsamen Perspektiven oder einer nicht ganz realen Farbpalette lässt Sibylle zunehmend die Grenzen verwischen zwischen Wahrnehmung und Realität. Schon, dass die Frau, die sich zu Beginn das Leben nimmt, Sibylle verblüffend ähnlich sieht, ist ein cleverer Schachzug, lässt Zweifel an all dem aufkommen, was im Anschluss passiert. Und das ist so einiges: Ob es nun seltsame Fremde sind, die immer wieder auftauchen, oder auch eine Entfremdung mit der eigenen Familie, da stimmt etwas nicht im Haus der Familie. Nur dass eben unklar bleibt, ob das „nicht stimmen“ die tatsächliche Außenwelt betrifft oder die Hauptfigur. Denn einen alternativen Blickwinkel dürfen wir als Zuschauer nie einnehmen, wir sind untrennbar mit der Protagonistin verbunden, ihr sozusagen ausgeliefert. Und das ist bei einer Person, die in den Wahnsinn anzugleiten droht, immer eine Garantie für mysteriöse, unwirkliche Stimmungen.
Dabei hat sich der Schweizer auch sichtlich von den großen Meistern inspirieren lassen: Hitchcock, Kubrick, Polanski, Lynch – sie alle schauen hier mal mehr, mal weniger direkt vorbei, lassen uns rätseln und schaudern. Diese vielfältigen Einflüsse sind insgesamt auch sehr schön miteinander verwoben, lassen aber im Gegenzug dann manchmal Sibylle etwas austauschbar werden. So spaßig es ist, nach diesen Vorbildern Ausschau zu halten und so gekonnt diesen hier auch nachgeeifert wird, so sehr gleicht das Ergebnis gerade im Mittelteil einer reinen Zitatesammlung, weniger einem eigenständigen Werk mit einer eigenen Geschichte. Aber gut geklaut ist nun mal besser als schlecht erfunden, zumal der Film auch leicht feministische Tendenzen hat, die ihn von der Konkurrenz unterscheiden. Und wer vergleichbar mysteriöse Sinnesspiele mag, der sollte dem deutschen Mysterythriller ohnehin einmal eine Chance geben, der sich vor einem Gros der internationalen Konkurrenz nicht zu verstecken braucht.
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