(„The Wolfpack“ directed by Crystal Moselle, 2015)
Es gibt Geschichten, die sind so eigenartig, dass sie nur das Leben geschrieben haben kann. Wie jene der sieben Angulo-Geschwister, die seit vielen Jahren ihre Wohnung nicht verlassen haben. Vergleichbares hatte man schon gehört, Horrorszenarien von einsamen Menschen im hohen Alter, die von der Welt vergessen wurden, nach ihrem Tod oft wochenlang in ihren Wohnungen liegen. Bei den Angulos ist das anders: Sie sind nicht nur jung und gesund, ihre Isolation ist – so scheint es zumindest – nicht mit Entbehrungen und Unglück verbunden. Und sie ist auch auf einen anderen Grund als bloße soziale Ungeschicklichkeit zurückzuführen.
Ihr Vater Oscar war es, so verrät der Dokumentarfilm The Wolfpack – Mitten in Manhattan, der sie daran hinderte, die Außenwelt zu erleben. Die Motivation dahinter ist noch recht gut nachzuvollziehen, er versuchte sie vor den bösen Einflüssen da draußen zu beschützen. Seine Schlussfolgerung jedoch, die dürfte den meisten doch ein klein wenig übertrieben vorkommen: Die Kinder und Jugendlichen wurden ebenso wie die Mutter eingesperrt, durften ohne Erlaubnis nicht nach draußen. Die Ausflüge in die Realität waren dann auch sehr selten, nur ein paar Mal pro Jahr – wenn überhaupt.
Dafür zeigte das Familienoberhaupt seinen Schützlingen eine ganz andere Realität: die der Filme. Mehr als 5000 Videokassetten und DVDs sollen in der Wohnung gehortet sein und waren Anknüpfungspunkt zur Außenwelt und Inspiration in einem. Diesem Thema hat The Wolfpack auch seine skurrileren Momente zu verdanken. Mal sehen wir die Jungs, wie sie sämtliche Dialoge wortwörtlich aufschreiben, in anderen bauen sie aus dem spärlichen in der Wohnung vorhandenen Material Filmrequisiten nach. Sie wollen selbst einmal als Filmemacher arbeiten, verraten die Protagonisten, irgendwann. Das ist naheliegend, gleichzeitig aber auch absurder Traum. Wie können Menschen Geschichten erzählen wollen, wenn sie selbst nie welche erlebt haben?
Dokumentarfilmerin Crystal Moselle, welche die Familie lange begleitet hat, verzichtet darauf, den Wunsch beurteilen zu wollen oder sich anderweitig einzubringen. Bemerkenswerter ist aber ohnehin, was Moselle alles nicht tut, was sie nicht anspricht oder zeigt. Oscar beispielsweise, dessen Entscheidung der Katalysator für das gesamte Familiendrama ist, kommt kaum zu Wort. Und so spät, dass man zuvor nicht einmal sicher ist, ob es ihn überhaupt noch gibt. Die Mutter, welche eine Schlüsselrolle bei der Erziehung spielt und auch dafür, dass die Kinder wider Erwarten zu offensichtlich intelligenten, offenen Menschen heranreiften, ist ebenfalls nur eine Randerscheinung.
Allgemein würde man sich hier oft etwas mehr Inhalt und Erklärungen wünschen. Manche Fragen – wie finanziert sich die Familie eigentlich? – werden beiläufig beantwortet, viele aber nicht. Was so als schier unglaubliche Geschichte begann, ist anderthalb Stunden später kaum greifbarer geworden, Moselle interessiert sich kaum für die Hintergründe und Vergangenes, sondern vielmehr die Gegenwart. Am Ende ist es dann doch eher der Unterhaltungswert, der hier im Vordergrund steht, weniger ein Informationsbedürfnis. Dieser ist dafür tatsächlich hoch, The Wolfpack ist oft erstaunlich, manchmal witzig, gelegentlich auch traurig. So wie das Leben, das sich irgendwo außerhalb der Wohnungstür abspielt.
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