(„Wolf’s Rain“ directed by Tensai Okamura, 2003)
Zeichentrick mit Tieren in der Hauptrolle haben wir im Laufe unseres fortlaufenden Animationsspecials schon des Öfteren präsentieren dürfen. Teil 94 geht hier jedoch ganz eigene Wege: Nicht nur dass hier etwas ungewöhnliche Vertreter der Fauna in die Protagonistenrolle schlüpfen, sie tun dies im Rahmen einer Geschichte, die wie nur wenige von düsteren Bildern und Melancholie geprägt ist.
Die Wölfe sind vor lauter Zeit schon ausgestorben, so heißt es. Tatsächlich haben einige jedoch überlebt, indem sie den Menschen mittels Magie als einer der ihren erscheinen und so in ihrer Mitte leben können. Während sie für die meisten so ins Reich der Mythen und Legenden übergegangen sind, wissen manche um die Existenz der vierbeinigen Wesen. Einer davon ist Quent Yaiden, der sich geschworen hat, sämtliche verbliebenen Wölfe aufzutreiben und zu töten. Aber auch andere sind auf der Suche nach ihnen, sollen sie doch einem alten Glauben zufolge die einzigen sein, die das Tor zum Paradies öffnen können. Eben dieses suchen Kiba, Tsume, Hige und Toboe – vier Überbleibsel der einst stolzen Wölfe. Und so reisen gemeinsam sie durch das zerstörte Land und begegnen den unterschiedlichsten Menschen wie auch Artgenossen.
Vorsicht, böser Wolf! Ob es nun das durch „Rotkäppchen“ in der kollektiven Erinnerung eingebrannte Bild des trickreichen Menschenfressers ist oder die einst reale Furcht vor den tierischen Jägern, welche über das eigene Vier herfallen, Wölfe sind der Inbegriff freier, wilder und äußerst gefährlicher Kreaturen, denen man besser aus dem Weg gehen sollte und die deshalb in Europa bedingungslos gejagt wurden. Kein Wunder also, dass ihnen auch in fiktiven Werken immer wieder die Rolle des Schurken zugetan wurde, allen voran im Horrorgenre in Form des nachts zur Mördermaschine werdenden Werwolfs. Diese Verbindung liegt in Wolf’s Rain natürlich nahe, wird hier jedoch ins Gegenteil verkehrt. Wenn hier Wölfe zu Menschen werden, dann nicht aufgrund eines Fluchs oder aus bösartiger Absicht, sondern weil dies für einige die einzige Möglichkeit ist, zu überleben. Andere fristen als Hunde verkannt ein Leben als Haustier oder durchsuchen die Straßen nach fressbarem Müll. Strahlende Helden sehen anders aus, von den oft idealisierenden Szenarien tierischer Animationsfilme ist man hier weit entfernt.
Es ist dann auch unter anderem diese düstere Stimmung, welche Wolf’s Rain auszeichnet. Regisseur Tensai Okamura (Sekai Seifuku, Darker Than Black) zeigt hier eine Welt, die schon lange auf ihr eigenes Ende zusteuert: Die Städte sind verfallen, die meisten Menschen leben in Armut, alles hier ist dunkel, dreckig, oft auch von Schnee bedeckt. Die Sehnsucht nach dem Paradies, welche die Wölfe antreibt, braucht deshalb nicht weiter erklärt zu werden, die Bilder sind Grund genug. Allgemein hält sich die Serie sehr mit Erläuterungen zurück: Eine wirkliche Einführung gibt es nicht, manche Elemente wie die Noblen werden einem vor die Füße geworfen, ohne dass je so richtig klar gemacht wird, wer sie eigentlich sind.
Das hält auf der einen Seite den Mysteryfaktor hoch, man bleibt allein deshalb schon dran, um die Hintergründe zu erfahren. Manchmal beschleicht einen jedoch das Gefühl, dass Drehbuchautorin Keiko Nobumoto selbst nicht so genau wusste, wohin er mit seiner Serie wollte. Selbst die „Verwandlung“ von Wolf zu Mensch ist nicht ganz durchdacht, da gibt es schon sehr widersprüchliche Szenen. Und das gilt auch für die Geschichte: Gerade im Mittelteil gleicht der Anime seinen Protagonisten, wandert ziellos umher, ist mal Fantasy, dann Drama, ein bisschen Western, zwischenzeitlich auch Science-Fiction, da laufen Indianer durch die Gegend, Züge sind nicht minder selbstverständlich als Raumschiffe, dazu gibt es noch ein wenig Alchemie. Ebenso quer durch die Bank ist der Soundtrack: Starkomponistin Yōko Kanno (Cowboy Bebop, Terror in Tokio) legte hier ein erneut ein Meisterwerk vor, das sich um Genregrenzen nicht schert, Jazz mit Rock kreuzt, Pop mit Klassik, dazu auch schon mal orientalische oder sehr fremdartige Klänge einflechtet. Diese Uneinheitlichkeit ist hier jedoch kein Manko, vielmehr passen die Stücke wunderbar zu der melancholischen Stimmung, all das verstärkt das Gefühl des Verlorenseins.
Zwischendurch darf es natürlich humorvolle Tupfer und Hoffnungsschimmer geben, wenn sich die vier so unterschiedlichen Protagonisten langsam zusammenfinden, Wolf’s Rain zu einer Art Vierfach-Buddy-Movie wird. Oftmals sind es dann auch die Charaktere, welche hier im Mittelpunkt stehen: Anstatt die Geschichte voranzutreiben, wird viel Zeit darauf verwendet, ihnen mehr Persönlichkeit zu geben. Der Plan ging auf, die Tiere besitzen mehr Tiefe als die meisten menschlichen Animefiguren der Konkurrenz, sie wachsen einem so sehr ans Herz, dass einem manche Szenen besonders an die Nieren gehen.
Das liegt auch an der sehr realistischen Ausgestaltung der Optik durch das Studio BONES (Noragami, RahXephon), sowohl was die Wölfe wie auch die Menschenform angeht. Insgesamt ist die visuelle Gestaltung trotz der grundsätzlich sehr guten Designs aber ein wenig zwiespältig. Die Hintergründe sind schön stimmungsvoll, teilweise aber doch sehr schlicht. Die Animationen sind in vielen Situation wie aus dem Leben gegriffen, bei den gelegentlichen Actionsequenzen aber furchtbar. So springen die vier in Menschengestalt durch die Gegend, als gebe es keine Schwerkraft, was nicht zum ansonsten auf Realismus bedachten Bild passen will. Vor allem aber sind sie dabei ziemlich bewegungslos, so wie auch die Laufanimationen schon sehr dürftig sind. Das lag vermutlich auch an den schwierigen Produktionsbedingungen, welche das Team zwischenzeitlich zu gleich vier lästigen Rückschaufolgen und einem überhasteten Ende zwang (welches in vier Direct-to-Video-Extrafolgen ausgearbeitet wurde).
Trotz der kleineren Schwächen beim Inhalt wie auch der Umsetzung ist Wolf’s Rain jedoch eine atmosphärisch starke, dystopisch angehauchte und ungewöhnliche Serie, die noch immer auf diversen Anime-Must-see-Listen auftaucht. In Deutschland ist das leider nicht ganz einfach, die vor Jahren erschienenen DVDs sind nur noch antiquarisch zu bekommen. Dafür gibt es die Möglichkeit, den Anime per Video-on-Demand zu sehen, was bei dem kleinen Klassiker auch mehr als eine Empfehlung wert ist.
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