Boulevard
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Boulevard

(„Boulevard“ directed by Dito Montiel, 2014)

Boulevard DVD
„Boulevard“ ist seit 29. Februar auf DVD und Blu-ray erhältlich

Seit vielen, vielen Jahren schon führen Nolan (Robin Williams) und Joy (Kathy Baker) eine glückliche Ehe, die auf Vertrauen und Routine basiert. Eines nachts, als Nolan mit dem Auto nach Hause fährt, lernt er zufällig den jungen Stricher Leo (Roberto Aguire) kennen. Eigentlich hätte diese Begegnung ohne Folgen bleiben sollen. Doch Leo weckt in dem älteren Bankangestellten eine Sehnsucht, die schon bald sein Leben auf den Kopf stellt. Immer häufiger treffen sich die beiden, bis Nolan sich irgendwann eingestehen muss, Gefühle für seinen jungen Begleiter entwickelt zu haben.

„Das ist nicht richtig so“, sagt Leo an einer Stelle zu seinem deutlich älteren Verehrer. Nicht der Altersunterschied ist es, der dem jungen Stricher missfällt, sicher auch nicht, dass Nolan ständig für ihn bezahlt. Es ist der fehlende Sex. Selbst als er sich auszieht, völlig nackt vor Nolan stellt, zeigt dieser keine Reaktion. Das ist bezeichnend für einen Mann, der es gewohnt war, seine Gefühle ein Leben lang in sich zu begraben, der lieber träumt, anstatt zu handeln. Aber auch für einen Film, der fast völlig auf große Momente verzichtet, das Introspektive der Handlung vorzieht.

Richtig viel passiert nämlich nicht in Boulevard: Wir sehen die beiden immer mal wieder in unterschiedlichen Situationen zusammen, die von Mal zu Mal alltäglicher werden. Nolan lädt Leo zum Essen ein, fährt mit ihm umher, versucht ihm einen Job zu verschaffen, schenkt ein Handy. Wenn etwas die allmähliche Annäherung stört, dann sind es äußere Faktoren, etwa ein gewalttätiger Bekannter von Leo. Der Versuch, ein wenig Abwechslung in die ansonsten ruhige Geschichte zu bringen, ist prinzipiell begrüßenswert, wirkt oft aber sehr forciert, ist zudem nicht frei von Klischees.

Allgemein hat das Drama der langen Liste an Coming-out-Filmen nicht wirklich etwas hinzuzufügen: Die Figurenkonstellation ist klassisch, die Konflikte sind es auch. So wird Nolan mit der Zeit besitzergreifender, möchte Leo ganz für sich alleine haben, verliert sich immer mehr in seinen Träumen, verliert immer mehr die Kontrolle über sich, seine Gefühle und sein Leben. Dass Robin Williams, der ja sonst eher im Komödienfach zu Hause war, auch die Abgründe nicht scheut, zeigte er seinerzeit in One Hour Photo. Ein Psychopath ist Nolan aber natürlich nicht, sondern vielmehr ein trauriger älterer Mann, der sich eingestehen muss, ein falsches Leben geführt zu haben, was von dem 2014 verstorbenen Schauspieler auch nuanciert dargestellt wird.

Ein solches Elend vor sich zu sehen, bleibt auch als Zuschauer nicht ganz ohne Wirkung. Wie soll man ihn nicht bemitleiden, den Mann, der auf der Suche nach dem späten Glück alles aufgibt, ohne dafür belohnt zu werden? Anders als in The Angriest Man in New York – einem weiteren Spätspätwerk von Williams über einen älteren Herrn, der vor den Scherben seines Lebens steht – bietet Boulevard wenig Trost und Versöhnung. Selbst die schönen Nachtaufnahmen sind immer von Melancholie begleitet, das Gefühl des „nicht richtig so“, es lässt einen auch hier nicht los, bleiben als leise Erinnerung zurück, wenn längst der neue Tag begonnen hat.



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„Boulevard“ hält sich an klassische Coming-out-Konstellationen, neigt an manchen Stellen auch zum Klischee. Die melancholische Stimmung des leisen Dramas macht den Film dennoch sehenswert, ebenso das nuancierte Spiel von Robin Williams in einer seiner letzten Rollen.
6
von 10