(„Dōbutsu Takarajima“ directed by Hiroshi Ikeda, 1971)
Endlich selbst einmal auf See fahren und große Abenteuer erleben, davon träumt der junge Jim. Der Alltag sieht jedoch weniger traumhaft aus: Anstatt die Welt zu erkunden, muss er in einem Hotel arbeiten und sich um andere Reisende kümmern. Reisende wie der mysteriöse neue Gast, der nur noch ein Auge und ein Bein hat, dafür aber ein Kästchen, das ihm mehr als alles andere zu bedeuten scheint. Und er ist nicht der einzige, dem dieses ans Herz gewachsen ist, noch in derselben Nacht versuchen einige Vermummte, das Kästchen an sich zu nehmen, töten den Fremden und legen dabei auch noch das Hotel in Schutt und Asche. Neugierig, was es damit auf sich hat, nimmt Jim das heiß begehrte Gut an sich, in der Hoffnung, darin Juwelen zu finden. Stattdessen findet er dort jedoch eine Schatzkarte, und damit eine Möglichkeit, seinen Traum doch noch wahr werden zu lassen.
Dass sich die japanische Animeindustrie gerne mal westlicher Literaturklassiker annimmt, ist bekannt. Warum also nicht auch einmal „Die Schatzinsel“ von Robert Louis Stevenson verfilmen? Anders als die 1978 entstandene Serie hat der Film hier aber kaum etwas mit der bekannten Vorlage gemeinsam. Nicht nur, dass manche Figuren verschwunden sind oder neu hinzugefügt wurden, ein Großteil des Personals wurde in Tierform dargestellt – nicht umsonst heißt der Film im japanischen Original „Die Tier-Schatzinsel“. Ob man auf diese Weise der jüngeren Zielgruppe entgegenkommen wollte oder einfach nur auf den komischen Effekt gehofft hat, den ein Piratenschwein quasi automatisch intus hat, ist nicht bekannt. Lustig ist das Ergebnis aber schon.
Allgemein ist Die Schatzinsel eine recht humorvolle Interpretation des bekannten Stoffes. Der Schatz und die Schiffsreise geraten zuweilen in den Hintergrund, stattdessen wird der Film zu einer Ansammlung von Slapsticknummern. Nicht jede davon ist am Ende tatsächlich witzig, man merkt ihnen doch auch an, dass wir es hier mit einem über 40 Jahre alten Werk zu tun haben – da hat sich der Humor doch ein wenig gewandelt. Andere sind hingegen zeitlos, funktionieren heute so gut wie anno dazumal. Schade ist es insgesamt aber schon, dass der Abenteueraspekt so deutlich ins Hintertreffen gerät, da verspricht der eher düster-stimmungsvoll gehaltene Einstieg in einer finsteren Nacht ein wenig mehr. Vereinzelt meint man hier, bei einer Klassenfahrt unterwegs zu sein, nicht bei einer gefährlichen Reise über das tosende Meer. Wer lieber in die Richtung etwas sucht, der ist mit dem Klassiker Sindbad dann doch besser bedient.
Während man sich über den Inhalt ein wenig streiten kann, ist die Umsetzung jedoch erstaunlich gut geworden. Die Hintergründe des Traditionsstudios Toei Animation (Der Zauberer und die Banditen, Dragon Ball Z – Kampf der Götter) sind sauber, undfarbenfroh, die Tierfiguren drollig und für einen Anime Anfang der 70er auch gut genug animiert. Begleitet wird das auch von einer eingängigen Musik, die das lustige Treiben passend untermalt. Mag sein, dass das Jubiläumswerk zum 20. Geburtstag von Toei des feierlichen Anlasses wegen mehr Sorgfalt erfuhr, als man es von anderen Werken der Animeveteranen gewohnt ist. Gut anzusehen ist das Ergebnis aber auf jeden Fall, gerade auch in der stilisierten Stadt zu Beginn.
Historisch interessierte dürfen den kürzlich wiederveröffentlichten Film noch aus einem anderen Grund in die eigene Sammlung aufnehmen: Studio-Ghibli-Mitbegründer Hayao Miyazaki war sowohl an den Animationen und als Ideenlieferant beteiligt, zeichnete zudem einen begleitenden Manga, der es im Gegensatz zum Film aber nie hierher schaffte. Mit dessen späteren Großtiteln kann es Die Schatzinsel zwar nicht aufnehmen, eine nett-unterhaltsame Reise in die Vergangenheit ist das Frühwerk aber allemal.
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