(„Hadwin’s Judgement“ directed by Sasha Snow, 2015)
Jeder dürfte im Laufe seines Lebens irgendwann an einem Punkt ankommen, an dem er seine Arbeit infrage stellt, sie vielleicht sogar zu hassen lernt. Auch Grant Hadwin ging es so. Wie seine Familie zuvor arbeitete der Kanadier in der Holzindustrie, war dafür verantwortlich, die schönsten Bäume des kanadischen Urwalds zu finden und zu fällen. Eine ganze Weile tat er das auch, doch je länger er sich damit beschäftigte, je mehr Zeit er allein in der Natur verbrachte, umso schändlicher kamen ihm seine Handlungen vor. Und so versuchte er, die Holzindustrie umzustimmen und durch Argumente den Wald zu schützen. Als dies scheiterte, griff er 1997 zu einem deutlich rabiateren Mittel und fällte einen seltenen, über 300 Jahre alten Baum, der bei den Ureinwohnern als heilig galt, um so auf die Missstände aufmerksam zu machen.
„Wer soll dieser Hadwin sein?“, dürfte sich so manch einer fragen, der dieser Tage über die DVD stolpert. Während die Tat vor Ort für einen großen Aufruhr sorgte, dürften nur wenige hierzulande den umstrittenen Naturschützer kennen. Zumindest ein wenig wird sich das nach diesem Dokumentarfilm ändern: Anders als man es von vergleichbaren Rettet-die-Natur-Werken kennt, steht hier weniger das Schutzobjekt im Mittelpunkt als vielmehr ein Mensch, der es eben zu schützen versuchte. Als Porträt ist das durchaus spannend, Regisseur Sasha Snow zeichnet innerhalb von anderthalb Stunden den Weg eines Mannes nach, der über seine Sinnkrise nicht hinwegkam, daran seelisch immer mehr zugrunde ging und dessen gute Absichten in einer Katastrophe endeten.
Nur hatte Snow dabei ein Problem: Es gibt keine Aufnahmen seines Protagonisten. Wie auch, wenn ihn seinerzeit keiner ernst nahm, er erst dann Aufmerksamkeit bekam, als es bereits zu spät war? Und so war der Filmemacher darauf angewiesen, andere Leute zu befragen, Szenen mit einem Schauspieler nachzustellen und diese wortlosen Momente mittels Voice-over zu erklären. Ganz befriedigend ist das nicht: Als Zuschauer ist es schwierig, eine Verbindung zu einem Menschen aufzubauen, der zu keiner Zeit gezeigt wird, den wir nur vom Hörensagen kennenlernen – für einen Dokumentarfilm, der einer Person gewidmet ist, ist er erstaunlich unpersönlich. Außerdem ist die Abwechslung auf diese Weise nicht allzu hoch, da Hadwin’s Judgement in einer hohen Verlässlichkeit den immergleichen Schemata folgt: Interviews, nachgestellte Szenen, Naturaufnahmen.
Letztere sind dafür absolut atemberaubend geworden. Mit großen Kamerarundfahrten fängt Snow die Schönheit der unberührten Wälder im hohen Norden ein. Aber auch die Schäden. Wenn wir mit dem Team durch die fernen Provinzen stapfen und das Ausmaß der Verwüstung sehen, das Ergebnis jahrzehntelanger rücksichtloser Abholzungen, dann braucht es keine Erklärung, keine Voice-overs, nicht einmal einen Grant Hadwin, um einen Effekt zu erzielen. Man muss dann nicht einmal ein ausgesprochener Naturliebhaber sein, damit einem die Bilder nahegehen, sie schockieren, es einem vielleicht sogar das Herz zuschnürt. Und man langsam eine Ahnung bekommt, was in dem psychisch labilen Hadwin vorgegangen sein muss, der diese Veränderungen tagein, tagaus beobachten musste und teilweise sogar für sie verantwortlich war.
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