(„Sakasama no Patema“ directed by Yasuhiro Yoshiura, 2014)
Die Regeln des unterirdischen Dorfes sind eindeutig: Es gibt Gegenden, die niemand zu betreten hat. Nur war Patema noch nie jemand, die sich allzu lange mit Regeln aufhalten ließ, zumal niemand ihr glaubwürdig erklären kann, warum diese Gebiete so schlimm sein sollen. Und so setzt sie sich dann auch ganz gern mal über das Verbot hinweg und erkundet auf eigene Faust die verwinkelten Gänge, um am Ende eine große Überraschung zu erleben: Da ist eine eigene Welt da draußen, eine mit weiten Flächen und freiem Himmel. Aber auch eine, bei der die Schwerkraft genau verkehrt herum ist. Nur mit Mühe und Not sowie der Hilfe des Jungen Age schafft sie es, nicht mit in den Himmel gerissen zu werden. Aber warum funktionieren diese beiden Welten so unterschiedlich?
Ausgewachsene Animefilme sind in den letzten Jahren ja eher eine Ausnahme geworden, vor allem solche, die nicht auf einer bekannten Vorlage basieren. Wenn dann auch noch ein nicht allzu bekannter Regisseur – Yasuhiro Yoshiura (Time of Eve) – und ein neues Studio (Purple Cow Studios Japan) ihre ersten Sporen verdienen wollen, dann ist das erst einmal sympathisch. Umso mehr, wenn hierbei nicht einmal gängige Klischees bedient werden, sondern eine tatsächlich originelle Geschichte erzählt wird.
Nicht nur Patema und Age staunen nicht schlecht, als sie das erste Mal mit einer entgegengesetzten Gravitation konfrontiert werden, denn etwas Derartiges hat man (mit Ausnahme des Realfilms Upside Down) nicht gesehen. Wenn beide sich aneinanderklammern müssen, um nicht fortgerissen zu werden und sie nur zusammen schwebend die ihnen jeweils neue Welt erleben, dann ist das rührend und aufregend zugleich, an manchen Stellen auch bewusst komisch.
Ansonsten aber haben beide eher weniger zu lachen. Patema lebt zwar in einer Gemeinschaft, aber einer, die mit vielen Einschränkungen verbunden ist. Age hat es noch schlimmer getroffen: Physisch hat er viel Freiraum, dafür ist seine Gesellschaft sehr totalitär, jeden Tag wird ihm und den anderen eingetrichtert, was sie zu tun und zu denken haben. So sind die sogenannten „Inverted“, die umgedrehten Menschen, dort im Rahmen einer Art Religion als Sünder bekannt und verachtet. Wie wenig in dieser Gesellschaft dem Individuum überlassen ist, zeigt sich bereits schön bildlich an der Fortbewegung, die fast ausschließlich über Rollbänder stattfindet – so wird verhindert, dass jemand vom Weg abkommt.
Doch so interessant dieses Szenario der doppelten Schwerkraft und die dystopisch-totalitären Anleihen auch sind, Yoshiura – der hier auch das Drehbuch schrieb – schafft es nicht so recht, daraus auch wirklich mehr zu machen als eine schöne Idee. Was folgt, ist ein sehr klassisches Abenteuer im Stil von Das Schloss im Himmel mit nur wenig ausgearbeiteten Figuren. Gerade der Gegenspieler darf keine echte Persönlichkeit entwickeln, sondern bleibt ein nicht immer ganz nachzuvollziehendes Stereotyp. Dass er gegen die Welt der Inverted wettert ist klar, der Grund dafür bleibt aber relativ dünn, es erschließt sich nicht so ganz, warum die ganze Gesellschaft offensichtlich kein anderes Thema oder Problem kennt als die verkehrten Menschen aus der Sage. Dass hier manches etwas widersprüchlich bzw. notdürftig erklärt ist und die zunächst so burschikose Patema später kaum mehr als die altmodische Damsel in Distress sein darf, schmälert den sehr guten Anfangseindruck ebenfalls.
Trotzdem ist Patema Inverted eines der interessanteren aktuellen Beispiele japanischer Zeichentrickkunst geworden und hebt sich wohltuend von der nicht unbedingt risikofreudigen Masse ab. Da auch die Optik auf einem gehobeneren Niveau ist, gerade für ein so junges Studio, ist der Beitrag vom Fantasy Filmfest 2014 sowohl für Anime- wie auch Science-Fiction-Fans einen Blick wert und macht neugierig darauf, welchen Weg Yoshiura wohl als nächstes einschlagen wird.
(Anzeige)