(„Wo willst du hin, Habibi?“ directed by Tor Iben, 2015)
Wenn es ein Vorzeigemodell für gelungene Integration bräuchte, Ibrahim (Cem Alkan) wäre so eins: Der Nachkomme türkischer Einwanderer ist gebildet, sprachgewandt, höflich, hat auch einen qualifizierten Abschluss in der Tasche. Einen Job jedoch, den findet er einfach nicht. Aber auch privat läuft nicht alles so wie geplant, denn Ibrahim hat ein Problem: Er steht auf Männer. Und das darf in seiner konservativen Familie niemand wissen. Bislang hat er diese Seite an sich gut verbergen können und auch seine Beziehung verheimlicht. Als er jedoch dem Kleinkriminellen Alexander (Martin Walde) begegnet und sich sofort in ihn verliebt, wird klar, dass er nicht länger davonlaufen kann.
Eines muss man Regisseur und Drehbuchautor Tor Iben, der hier seinen dritten Langfilm abliefert, ja lassen: Er hat eine ganze Menge zu erzählen. Nicht nur, dass Ibo, wie der Protagonist genannt wird, sein Coming-out noch vor sich hat, er es mit einem Gauner zu tun bekommt und sich seiner Familie gegenüber behaupten muss, er hat zudem aufgrund seiner Herkunft noch das Problem, keine Arbeit zu finden. Jedes Thema davon ist zweifelsfrei relevant und würde genug Stoff für einen eigenen Film bieten. Alle zusammen jedoch, in nur 80 Minuten? Das war dann doch ein bisschen viel.
Dabei ist es nicht einmal so, dass man sich hier erschlagen fühlt von der Menge oder auch von der Schwere des Stoffes. Eigentlich ist Wo willst du hin, Habibi? sogar ein eher leichtfüßiger Film, der recht munter von Thema zu Thema springt, ohne sich groß aufzuhalten. Es sind vor allem zwei Punkte, mit denen Iben trotz der ernsten Hintergründe eine zu große Tristesse verhindert. Zum einen ist die Geschichte erstaunlich undramatisch, kommt ohne Herzschmerz oder Weltuntergangsszenarien aus. Zum anderen wären da die beiden Hauptfiguren, die ständig um sich herumscharwenzeln, sich aufziehen und eine Menge Humor in die Sache bringen. Vor allem Ali ist nie um einen Spruch verlegen, was ihn trotz seiner Grobschlächtigkeit und seines kriminellen Hintergrunds irgendwie sympathisch macht.
Es ist aber manchmal schon etwas schade, dass einzelne Handlungsstränge so sang- und klanglos fallengelassen werden. Die Szenen zu Ibos vergeblichem Kampf um eine Stelle stehen beispielsweise völlig ohne Zusammenhang zu dem großen Themenkomplex der Homosexualität, hätten aus dem Film gestrichen werden können, ohne dass das jemandem auffiele. Die Konflikte zwischen ihm und seiner Familie wiederum werden schnell eingeführt, später aber auch ebenso schnell wieder ad acta gelegt. Der eigenen Glaubwürdigkeit wird so kaum geholfen, da hätte es einfach mehr Zeit und Tiefe gebraucht.
Allgemein hat Wo willst du hin, Habibi? immer wieder mit einer mangelnden Natürlichkeit zu kämpfen. Einige Szenen sind schon sehr konstruiert – darunter das Kennenlernen von Ibo und Ali –, da wird mit Zufälligkeiten gearbeitet, die man im wahren Leben so nicht erfahren darf. Aber auch im Zwischenmenschlichen knirscht es immer mal wieder, was gleichermaßen holprigen Dialogen wie auch Darstellern geschuldet ist, die offensichtlich noch nicht die ganz großen Erfahrungen haben sammeln dürfen. Aber auch wenn es an vielen Stellen am nötigen Feinschliff mangelt, irgendwie mag man diesen Film dann doch, drückt den beiden ungleichen und auch genreuntypischen Figuren die Daumen, darf am Ende dann wieder beschwingt und voller Hoffnung dem Leben entgegenblicken. Selbst wenn man zwischendurch wie Ibo nicht weiß, wohin der Weg eigentlich geht.
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