(„Le tout nouveau testament“ directed by Jaco van Dormael, 2015)
Eigentlich ist Ea (Pili Groyne) eine ganz normale Jugendliche, sieht man einmal von der Tatsache ab, dass sie übernatürliche Kräfte hat und die Tochter von Gott (Benoît Poelvoorde) ist. Und als solche wünscht sie sich nichts sehnlicher, als einmal die Welt zu sehen und auf eigenen Beinen zu stehen. Das ist aber gar nicht so einfach, wenn der eigene Vater allmächtig ist und sie wie auf ihre Mutter (Yolande Moreau) wie Gefangene hält. Ein Plan muss her. Glücklicherweise gibt es da aber noch ihren älteren Bruder Jesus (David Murgia), der sich seinerzeit auch schon aus dem Staub gemacht hat. Der verrät ihr nicht nur, wie sie unbemerkt die Wohnung verlassen kann, sondern auch dass Gott ohne seinen Computer nicht viel machen kann. Also beschließt sie, vor ihrer Flucht selbst noch etwas Gott zu spielen und jedem Menschen per SMS das jeweilige Todesdatum zuzuschicken, um sich anschließend auf die Suche nach sechs Aposteln zu machen und ein brandneues Testament schreiben zu lassen.
„What if God was one of us“ sang Joan Osborne 1995 und schaffte damit nicht nur einen weltweiten Hit, sondern sorgte aufgrund seines angeblich blasphemischen Grundgedankens auch für einen kleineren Skandal. 20 Jahre später scheint sich daran wohl niemand mehr wirklich zu stören, wenn man die wohlwollenden Kritiken zu Das brandneue Testament liest, das diesen Gedanken nicht nur aufgreift, sondern auch auf die Spitze treibt. Gott ist nicht nur ein Mensch, sondern lebt auch in einer eher schäbigen Wohnung in Brüssel, trägt einen hässlichen Bademantel und eine wirre Frisur. Und: Gott ist ein Arschloch.
Herrlich ist schon der Einstieg, wie wir ihn bei seiner täglichen Arbeit beobachten, die darin besteht, den Menschen mithilfe von unsinnigen wie gemeinen Geboten das Leben zur Hölle zu machen. Wer sich schon immer einmal gefragt hat, warum Marmeladenbrötchen immer mit der geschmierten Seite nach unten fallen oder man im Supermarkt grundsätzlich in der falschen Schlange steht, Das brandneue Testament bietet die Antwort darauf. Immer wieder wechselt der Film hier wie auch später bei seinem Humor von bösärtig zu albern, was insgesamt nicht allzu anspruchsvoll ist, seine komische Wirkung aber nicht verfehlt – auch deshalb, weil Benoît Poelvoorde in seiner Rolle als göttlicher Despot völlig aufgeht.
Das brandneue Testament ist allerdings keine reine Religionssatire à la Das Leben des Brian oder Dogma, sondern wird im Laufe seiner knapp zwei Stunden deutlich tiefsinniger. Und auch trauriger. Bei allen surrealen Tendenzen, die der Film zeigt – und er kann sehr abgefahren werden –, ist er doch letztendlich einer über die Menschen, über ihre Sorgen und Nöte, über das Leben. Auch die sind hier durchaus etwas skurriler gehalten, haben manchmal etwas eigenwillige Hobbys und Gelüste. Und doch gehen einem ihre jeweiligen Geschichten zu Herzen, erinnern in ihrer Mischung aus Warmherzigkeit und Exzentrik an Die fabelhafte Welt der Amélie.
Aber auch was die pure Kreativität angeht, muss sich das neueste Werk von Regisseur und Ko-Autor Jaco van Dormael (Mr. Nobody) nicht vor dem französischen Komödienklassiker verstecken. Immer wieder finden sich so originelle Bilder und ungewöhnliche Situationen, dass man gern dabei gewesen wäre, als die Ideen für das Drehbuch gesammelt wurden. Abgerundet wird das Vergnügen durch eine Reihe existenzieller Überlegungen zu Gott und die Welt, den Sinn des Lebens und die Wichtigkeit der uns gegebenen Zeit, sowie eine Jungdarstellerin, die als rebellische Tochter aus allmächtigem Haus einfach umwerfend ist: Das brandneue Testament ist nicht nur eine der einfallsreichsten und besten Komödien der letzten Zeit, sondern auch eine, die tatsächlich etwas zu sagen und zu zeigen hat.
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