(„Córki dancingu“ directed by Agnieszka Smoczynska, 2015)
Eigentlich sind die Schwestern Silver (Marta Mazurek) und Golden (Michalina Olszanska) in den Gewässern dieser Welt zu Hause. Wenn es Kontakt zu den Menschen gab, dann meist nur, um sie mit ihrem Gesang anzulocken und anschließend zu verspeisen. Dann hören die zwei Meerjungfrauen jedoch eines Tages den Gesang eines Menschen, genauer des hübschen jungen Bassisten (Jakub Gierszal) einer Band, der Silver den Kopf verdreht. Und so beschließen die beiden, das sichere Wasser zu verlassen und in einem Nachtclub anzuheuern, dessen Besitzer (Zygmunt Malanowicz) in den aufreizenden, musisch begabten Geschöpfen eine vielversprechende Einnahmequelle sieht.
Meerjungfrauen mögen eine lange Tradition in den Sagen dieser Welt haben, in Filmen genießen sie – von Disneys Zeichentrickklassiker Arielle, die Meerjungfrau mal abgesehen – eher ein Nischendasein. Aber vielleicht ändert sich das ja demnächst. Nicht nur, dass 2016 Stephen Chows Liebeskomödie The Mermaid in China einen neuen Besucherrekord aufstellte und mehr als 500 Millionen Dollar einspielte, so viel kein Film zuvor, auch aus Polen kommt ein bemerkenswertes Werk, in dem zwei mit einem Fischschwanz ausgestattete Damen ihren großen Auftritt haben. Einen vergleichbar großen kommerziellen Erfolg wird die osteuropäische Variante allein schon ihrer Herkunft wegen nicht haben, zudem entspricht sie wohl kaum dem, was die Massen ins Kino lockt.
Dabei bringt Sirenengesang eigentlich ein gehöriges Herzschmerz- und Schmachtpotenzial mit sich, schließlich geht es hier um die unmögliche Liebe zweier überaus attraktiver junger Menschen. Und das zieht immer. Fast immer. Dass es sich bei der einen Hälfte um eine ihrer Natur nach blutrünstige Bestie handelt, der bei Appetit eher unschöne, vampirähnliche Schneidezähne wachsen, sorgt für einen ersten kleinen Dämpfer, ist aber kein Totschlagargument, wie allerlei Mensch-liebt-Monster-Filme beweisen. Hinzu kommt aber, dass gar nicht erst versucht wird, etwas jenseits der hübschen Fassade zu etablieren, der Bassist hat wie alle anderen Menschen in Sirenengesang keinen eigenen Namen. Und kaum Charakter. Das erschwert natürlich den Zugang, so wie die Liebe von Silver einseitig ist, so ist es auch der Fokus des Films: Erzählt wird nur die tragische Schwärmerei der Wasserbewohnerin, der Anteil des Bassisten innerhalb dieser Beziehung verschwindet schnell in der Tiefe des Meeres.
Aber das Drama ist ohnehin nur ein Aspekt von Sirenengesang, der polnische Film hält sich nicht lange an Genregrenzen oder auch Inhalten auf. Unterbrochen wird das Geschehen immer wieder von Musicalnummern, die jedoch weniger Mitsingcharakter haben, sondern vielmehr Europop mit düster glitzerndem Nachtclub verschmelzen. Das kann mal abgehoben-absurd sein, wenn der Besuch eines Supermarktes auf einmal in einer musikalischen Nummer mündet, an der nicht nur die Bandmitglieder beteiligt sind. Oder auch grotesk-bedrohlich, wenn Regisseurin Agnieszka Smoczynska der Meerjungfrauensaga seine magischen Horrorwurzeln zurückgibt.
Horror und Komödie, Musical und Drama, in Sirenengesang fließt zusammen, was nicht zusammengehört, und bildet so eine schillernde und traumartig-hypnotisierende Oberfläche, auf die man auch während der vielen Momente starrt, wenn eigentlich nichts mehr darunter zu finden ist. Nein, für Kinder oder das große Publikum ist dieses schweigsame Monster eines Films nicht, eher für die Leute, die Filmfestivals nutzen, um Werke zu sehen, an die sich sonst kaum einer herantraut. Dass Smoczynska damit auf Sundance für Furore sorgte, verwundert nicht, deutsche Zuschauer haben jetzt während des 11. FilmPolska Festivals ihre Chance, welches vom 20. Bis 27. April in Berlin stattfindet. Ein regulärer deutscher Start ist bislang nicht vorgesehen und wohl auch eher unwahrscheinlich, wer derlei eigenwillige Filme mag und ohnehin in der Hauptstadt ist, sollte sich die Gelegenheit also nicht entgehen lassen.
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