(„Alice Through the Looking Glass“ directed by James Bobin, 2016)
Als Alice Kingsleigh (Mia Wasikowska) nach drei Jahren auf hoher See nach London zurückkehrt, steht ihr ein riesiger Schock bevor: Von dem Familienbesitz ist kaum mehr etwas übrig, wenn Alice das Schiff ihres verstorbenen Vaters nicht verkauft, sitzt ihre Mutter (Lindsay Duncan) auf der Straße. Und auf sie selbst wartet ebenfalls kein schönes Schicksal, sie solle in einem Büro arbeiten, das Meer wäre nichts für Frauen – heißt es. Bald hat sie jedoch noch viel größere Sorgen: Als sie mithilfe eines Spiegels zurück ins Unterland reist, erfährt sie, dass der Hutmacher (Johnny Depp) todunglücklich ist aufgrund eines lange zurückliegenden Ereignisses. Der einzige Ausweg stellt die Chronosphäre dar, welche im Besitz der Zeit (Sacha Baron Cohen) persönlich ist und einen in die Vergangenheit reisen lässt. Doch genau auf die hat es auch die Rote Königin (Helena Bonham Carter) abgesehen. Denn die hat da selbst eine Erinnerung in sich, welche ihre Schwester (Anne Hathaway) betrifft, von der sie sich gern verabschieden würde.
Der Regieexzentriker Tim Burton und die wundersamen Welten von Lewis Carrolls „Alice im Wunderland“, das war vor einigen Jahren eine vielversprechende und naheliegende Kombination. Zwei die sich gefunden haben. Am Ende kam es bekanntermaßen etwas anders, die vermeintliche Traumkombination war zwar nicht der Alptraum, den manche darin sehen wollten, aber doch sehr ernüchternd. Nur selten konnte der für seine verrückten Ideen und skurrilen Figuren bekannte Burton seine Stärken ausspielen, die restliche Zeit war Burtons Alice im Wunderland eine zwar düstere, aber doch schrecklich langweilige Interpretation des Buchklassikers, deren großer Erfolg an den Kinokassen eher dem Namen und dem damals noch neuen 3D-Effekt geschuldet war als tatsächlichen Stärken.
Entsprechend verhalten war dann auch die Vorfreude auf den unausweichlichen Nachfolger, wenngleich Burton hier nichts mehr zu sagen hatte, sondern James Bobin den Vortritt ließ. Auch die Verpflichtung las sich auf dem Papier ganz gut, war der Amerikaner doch für das liebevolle Auftritt der Kultpuppen in Die Muppets und Muppets Most Wanted entscheidend mitverantwortlich. Aber auch eher scheitert, trotz fantasievoller Aufmachung, an der eigentlich dankbaren Aufgabe. Dass Alice im Wunderland: Hinter den Spiegeln keine entscheidende Verbesserung darstellt, ist dann wohl auch auf Linda Woolverton zurückzuführen, welche nicht nur für den Vorgänger das Drehbuch geschrieben hat, sondern auch für Die Schöne und das Biest sowie Maleficent.
Man müsse sich von der Vorlage lösen und schauen, wie diese auch in der Neuzeit funktioniert, sagte die Amerikanerin über den Film. Und strafte sich am Ende damit Lügen, entwickelte eine Geschichte, welche so gar nichts mehr mit Carrolls berühmten Kreationen zu tun hat. Nun sind freiere Interpretationen nicht verwerflich, wie das surreal-verstörende Alice, die kindlich-bunte Zeichentrickserie Alice im Wunderland oder auch die futuristische Vision in der Miniserie Alice im Wunderland zeigte. Alice im Wunderland: Hinter den Spiegeln schafft es jedoch, seine Wurzeln zu missachten, dem aber nichts Gleichwertiges oder mindestens Interessantes entgegenzustellen. Am Anfang gibt es eine Referenz an das Original-Buch „Alice hinter den Spiegeln“, zwischendurch tauchen mal bekannte Figuren auf. Ohne diese bzw. Alice selbst wüsste man aber nicht, dass es da überhaupt eine Verbindung geben soll, an vielen Stellen wirkt der Film wie ein x-beliebiger Fantasy-Blockbuster für ein junges Publikum.
„Alice im Wunderland“, das bedeutet eine Kombination aus skurrilen Figuren, subversivem Surrealismus und einer Menge Wortwitz. Von letzterem ist kaum etwas zu finden, abgesehen von ein paar Kalauern, welche Zeit mit dem verdienten Augenrollen belohnt, ist der Film recht humorbefreit. Allein Zeit selbst ist ein würdiger Neuzugang. Die Chancen, die entsprechenden Passagen aus den beiden Alice-Büchern aufzugreifen, wurde verpasst, dafür ist die Figur sowohl von der Persönlichkeit wie auch der Optik her interessant. Zu sehen gibt es in Alice im Wunderland: Hinter den Spiegeln natürlich eine Menge, sowohl was die Kulissen wie auch die Figuren angeht. Gerade das Domizil von Zeit und der effektreiche Schluss lassen einen das Hier und Jetzt vergessen. Nur zeigt der Schluss auch wieder die hässliche Seite des Films, wird rührselig, geradezu kitschig, was den Geist der Vorlage dann endgültig verrät, Alice im Wunderland bleibt in der Reihe der an und für sich gelungenen Disney-Neuinterpretationen (The Jungle Book, Die fantastische Welt von Oz) das schwarze Schaf. Auch hier werden die Kritiken am Ende vermutlich harscher ausfallen, als es der Film an sich erfordert, denn er ist vielmehr eine schlechte Adaption als ein wirklich schlechter Film. Nur ist das Fantasyspektakel eben auch eine Sache, welche die Bücher nie waren: austauschbar. Und das ist ein Schicksal, welches Alice nun wirklich nicht verdient hat.
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