(„Creepy“ directed by Kiyoshi Kurosawa, 2016)
Eigentlich wollte Koichi Takakura (Nishijima Hidetoshi) nie wieder etwas mit Ermittlungen zu tun haben, seitdem er einmal im Dienst niedergeschossen wurde. Ihm reicht es heute, in Hörsälen über Verbrecher zu sprechen, anstatt sie zu treffen. Dann wird er jedoch von seinem früheren Kollegen Nogami (Masahiro Higashide) um Rat gefragt: Dem lässt es einfach keine Ruhe, dass vor einigen Jahren eine Familie spurlos verschwand, bis heute nicht einmal klar ist, ob da überhaupt ein Verbrechen vorlag. Während sich Takakura darauf einlässt, den alten Fall noch einmal anzuschauen, droht von anderer Seite Ungemach: Er und seine Frau Yasuko (Yuko Takeuchi) kommen mit den Nachbarn ihres neuen Hauses nicht wirklich zurecht. Alle sind sie abweisend und unfreundlich, darunter auch der seltsame Nishino (Teruyuki Kagawa), der mit seiner Familie sehr für sich lebt.
In den letzten Jahren versuchte sich Kiyoshi Kurosawa an einer ganzen Reihe von Genres, mit Creepy kehrt er nun zu den dunkleren Stoffen zurück, die ihn einst so bekannt gemacht haben. Fast zwanzig Jahre ist es mittlerweile her, dass er mit dem hypnotischen Thriller Cure seinen internationalen Durchbruch schaffte. Verlernt hat er nichts von seiner Kunst, wie die Adaption eines Romans von Yutaka Maekawa beweist. Tatsächlich erinnert sein neuester Film in vielerlei Hinsicht geradezu frappierend an seinen damaligen Erfolgstitel, inhaltlich wie inszenatorisch.
Erneut nimmt er uns hier mit in einen Alltag, der eigentlich gar nicht so wahnsinnig anders ist. Ein bisschen trübe vielleicht, gerade im Zwischenmenschlichen hapert es immer mal wieder, wenn die Leute nicht oder zumindest nicht genug miteinander sprechen. Nichts jedoch, was einem übermäßig fremd wäre. Und es ist auch nicht so, als würde Kurosawa daran schlagartig etwas ändern wollen. Schockeffekte? Sich überschlagende Ereignisse? Das ist weniger der Modus Operandi des Japaners. Es sind eher kleine Schritte, die einen auf Abwege führen, wo alles ein wenig dunkler ist, undurchsichtiger. Der Wind die Büsche und Bäume rascheln lässt, als würde sich da etwas anbahnen.
Dass da etwas kommt, steht außer Frage, zu unwohl fühlt man sich hier als Zuschauer in der eigenen Haut, zu seltsam ist das, was hier so vor sich geht. Dabei ist es nicht einmal so, dass Creepy mit großen Überraschungen arbeiten würde. Die Hinweise sind so deutlich, das Tempo so gemächlich, dass keiner überfordert sein sollte. Dass beispielsweise die beiden Handlungsstränge um den alten Fall und die neuen Nachbarn irgendwann zusammenfinden, dürfte den meisten bald klar sein. Und auch das „wie“ wird vergleichsweise früh verraten, das anfängliche Whodunnit-Schema wieder aufgegeben. So richtig vorbereitet wird man auf das Grauen dann aber doch nicht: Wenn sich die perfiden Abgründe vor einem auftun, schwankt die Reaktion zwischen Faszination und Abscheu.
Ganz glaubwürdig ist die Geschichte nicht, einige Sachen werden nicht oder nur wenig zufriedenstellend erklärt. Immerhin bleiben aber weniger offene Fragen zurück als seinerzeit bei Cure: Wem der Film damals zu versponnen und ausufernd war, findet hier eine geradlinigere und deutlich leichtere Variante eines im Grunde sehr ähnlichen Stoffes. Dass Creepy bislang kein deutscher Release vergönnt ist, darüber darf man sich deshalb dann schon wundern, schließlich sind derartig unheimlich fesselnde Thriller keine Selbstverständlichkeit. Zumindest die Besucher des japanischen Filmfests Nippon Connection in Frankfurt a. M. dürfen sich das Grauen aber auf der großen Leinwand antun, wenn dort am 25. Mai der Film aufgeführt wird – und das sogar in Anwesenheit von Kurosawa selbst. Das ist nicht zuletzt aufgrund eines grandios abstoßend aufspielenden Kagawa empfehlenswert, dem man nach seiner Leistung hier lieber nicht mehr im wahren Leben begegnen möchte. Und wer ihn da verpasst hat, der hat im Rahmen des Fantasy Filmfest 2016 erneut die Chance, sich einmal richtig schön zu gruseln.
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