Miss Hokusai
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(„Sarusuberi: Miss Hokusai“ directed by Keiichi Hara, 2015)

Miss Hokusai
„Miss Hokusai“ läuft ab 16. Juni im Kino

Man hat es als Kind mit besonderen Begabungen echt nicht einfach, wie uns letzte Woche ParaNorman zeigt. Und auch im 108. Teil unseres fortlaufenden Animationsspecials steht eine junge Protagonistin im Mittelpunkt, die für ihr spezielles Talent nicht die Anerkennung erhält, welche sie verdient.

Von seinem späteren großen Ruf ist Tetsuzo 1814 zwar noch entfernt, über mangelnde Aufträge kann sich der Maler jedoch kaum beschweren. Aus dem ganzen Land kommen die Leute zu ihm, um eines seiner Bilder zu erstehen. Seine Tochter O-Ei hingegen, die kennt kaum jemand. Dabei verfügt sie ebenfalls über ein beträchtliches künstlerisches Talent, arbeitet oft sogar an seinen Werken mit. Ohne dass die anderen es mitbekommen natürlich, denn Frauen sind in dieser Profession nicht unbedingt hoch angesehen.

Animes in deutschen Kinos, das war zuletzt eigentlich nur noch Studio Ghibli vorbehalten, wenn man mal von Tagesevents wie bei Expelled From Paradise oder Psycho-Pass – The Movie einmal absieht. Dass nun doch mal wieder ein Beispiel japanischer Zeichentrickkunst auf einer großen Leinwand präsentiert wird, ist deshalb eine schöne Überraschung, umso mehr, da sie nicht von einem der üblichen Verdächtigen stammt. Wenn von den Erben Hayao Miyazakis die Rede ist, dann fallen meist die Namen von Mamoru Hosoda oder auch Makoto Shinkai. Keiichi Hara hingegen, den dürften hierzulande nur wenige auf dem Schirm haben. Aus guten Grund: Es gibt fast nichts von ihm auf Deutsch. Seine Lizenzarbeiten zu Doraemon und Crayon Shinchan sind uns ebenso vorenthalten worden wie sein fantastisches Selbstmord-Familiendrama Colorful. Lediglich die Öko-Fabel Summer Days With Coo wurde uns bislang vergönnt. Da durfte man nicht unbedingt damit rechnen, dass es sein neuestes Werk gleich ins Kino schafft, zumal sowohl Thema wie auch Dramaturgie für ein Mainstreampublikum doch etwas zu sperrig sein dürfte.

Gesehen haben dürften viele schon einmal Bilder von Hokusai, allen voran das auf Postkarten so beliebte „Die große Welle vor Kanagawa“. Der Name bzw. die Person selbst sind da schon viel weniger geläufig. Und daran wird Miss Hokusa auch nur bedingt etwas ändern. Nicht nur dass der Film zu einer Zeit spielt, wo das große Projekt noch einige Jahre entfernt ist. Über den Künstler geht es hier nur am Rande, vielmehr wird seine Tochter O-Ei vorgestellt, welche trotz unbestreitbarer Talente immer im Schatten des berühmten Vaters stand. Die Adaption eines Mangas von Hinako Sugiura hat dann auch durchaus feministische Züge, weil sie nicht nur eine starke Frau ins Scheinwerferlicht rückt, sondern zeitgleich auch die Rolle der Frau in einer von Männern dominierten Kunstwelt auseinandernimmt. Etwas, das zwei Jahrhunderte später nicht unbedingt an Aktualität verloren hat.

Vielleicht sollte diese Brücke zur Neuzeit auch durch die so seltsam unangemessene Rockmusik erstellt werden, die so gar nicht zu dem historischen Geschehen passt und einen immer wieder herausreißt. Andererseits: Einen wirklichen roten Faden gibt es ohnehin nicht, den man durch derlei Experimente zerreißen könnte. Stattdessen besteht Miss Hokusai aus vielen Einzelepisoden, die verschiedene Aspekte im Leben von O-Ei beleuchten, mal auf der privaten, dann auch wieder der beruflichen Ebene, ohne dass eine Halt gebende Rahmenhandlung geben würde. Auch vom Ton her unterscheiden sich die verschiedenen Anekdoten, reichen von komisch über mystisch bis hin zu tragisch. Ganz einfach macht es Hara einem damit nicht. Auch wenn die einzelnen Geschichten auf einem meist hohen Niveau sind, gleiches gilt für den Film insgesamt, so erschließt es sich oft nicht so ganz, in welche Richtung das Ganze eigentlich gehen soll. Ob es überhaupt eine Richtung ist. Die temperamentvolle Art von O-Ei, ihre Weigerung, sich den männlichen Regeln zu unterwerfen, garantieren einen hohen Sympathiefaktor. Aufgrund der durch die bruchstückartige Erzählweise bedingten fehlenden Entwicklung wächst sie einem aber nicht unbedingt ans Herz, die emotionale Wucht von Colorful erreicht Hara hier nicht.

Aber auch wenn der „Vorgänger“ im direkten Vergleich doch noch etwas stärker war, sehenswert ist der Anime auf jeden Fall, gerade auch für die wunderbaren Hintergrundbilder von Production I.G (Ein Brief an Momo, Giovannis Insel). Noch traditionell per Hand gemalt nehmen sie einen mit auf eine Reise ins alte Japan und sind maßgeblich für die starke Atmosphäre mitverantwortlich. Allerdings haben sie auch einen Nachteil, genauer sogar zwei. Zum einen sind sie naturgemäß starr, was gerade in den Stadtszenen schon einmal etwas leblos aussehen kann. Zum anderen harmonieren sie nicht so ganz mit den Objekten und Figuren im Vordergrund, der Kontrast ist einfach zu stark. Ganz schlimm wird es beispielsweise, wenn an einer Stelle ein Korb aus einer Auslage genommen werden soll, der dadurch plötzlich ganz anders aussieht. Den meisten dürfte das aber egal sein, ein Kleinod seines Mediums ist der Anime auf jeden Fall, unterstreicht noch einmal, dass Hara ein Regisseur ist, den es im Auge zu behalten gibt.

Wer übrigens nicht bis zum offiziellen Kinostart warten mag, hat die Tage noch zwei andere Möglichkeiten, Miss Hokusai auf einer großen Leinwand zu genießen: Sowohl in Frankfurt am Main (Nippon Connection) wie auch in Hamburg (JFFH) wird das Biopic im Rahmen spezieller japanischer Filmfeste gezeigt, welche neben dem Film hier noch diverse andere spannende Animes im Programm haben.



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„Miss Hokusai“ ist ein inhaltlich wie formal ungewöhnliches Porträt einer ungewöhnlichen Künstlerin. Das ist meistens schön anzusehen und enthält viele spannende Einzelepisoden, ist durch den Mangel eines roten Fadens oder einer echten Dramaturgie jedoch auch etwas richtungslos und sperrig.
8
von 10