(„Hana to Alice satsujin jiken“ directed by Shunji Iwai, 2015)
Aller Anfang ist schwer: Nicht nur, dass die 14-jährige Alice nach ihrem Umzug keinen rechten Anschluss in der Schule findet, ihre neuen Klassenkameraden haben sie gleich auf dem Kieker. Und dann wäre da noch die Sache mit Judas, einem früheren Mitschüler, der vor einem Jahr unter mysteriösen Umständen ums Leben gekommen sein soll und ausgerechnet am Platz von Alice gesessen hat. Völliger Unsinn! Oder etwa nicht? Wenn es jemanden gibt, der weiß, was seinerzeit wirklich passiert ist, dann ist es Hana, die gegenüber von Alice wohnt und seit Längerem schon nicht mehr das Haus verlässt.
Elf Jahre nach seiner gefeierten Tragikomödienromanze Hana & Alice kehrt Regisseur und Drehbuchautor Shunji Iwai zu den beiden ungewöhnlichen Schulmädchen zurück und erzählt, wie die beiden eigentlich Freundinnen wurden. Da darf man im ersten Moment skeptisch sein, aus generellen Gründen – braucht es so einen Film? –, aber auch aus praktischen. Schließlich lebte der Film seinerzeit stark von seinen beiden Hauptdarstellerinnen, die mittlerweile in den späten 20ern sind und deshalb kaum mehr für die Rolle in Frage kamen. Vielleicht auch deshalb entschied sich der Japaner, das Prequel als Anime umzusetzen. Ganz auf die liebgewonnenen Schauspielerinnen muss man jedoch nicht verzichten, Anne Suzuki und Yū Aoi liehen ihren Figuren zumindest ihre Stimme, auch die anderen Charaktere werden wieder von denselben Leuten gesprochen.
Solche kleinen Verneigungen sind keine Seltenheit in The Case of Hana & Alice, immer wieder baut Iwai Referenzen an den Vorgänger ein. Am schönsten ist der Film deshalb für die Leute, die seinerzeit auch Hana & Alice gesehen haben und nun ein bisschen mehr über die Hintergründe der beiden erfahren dürfen. Wirklich nötig sind Vorkenntnisse aber nicht, selbst wer den beiden Mädchen das erste Mal begegnet, wird bald dem eigenartigen Zauber des Films erliegen. Ähnlich wie beim letzten Mal gibt es auch hier nur bedingt einen roten Faden, der Fall um den verschwundenen Judas ist nur ein Aufhänger, um eine ganze Reihe kleiner Momente zu zeigen, zwischen bittersüß und urkomisch, zwischen alltäglich und skurril. Da treffen ernste Themen wie eine Scheidung, Mobbing und Isolation auf eine absurde Verfolgungsjagd und sogar eine bizarre Geisterbeschwörung.
Diese Mischung aus Gewöhnlichkeit und Ungewöhnlichkeit findet sich auch in den Bildern wieder: Iwai, der sich hier das erste Mal an einem Animationsfilm versucht, entschied sich für das heutzutage kaum noch gebräuchliche Rotoskopieverfahren, wo Menschen gefilmt, später übermalt werden. Das hat Animationen zur Folge, die gleichzeitig lebensecht und doch wieder seltsam zeitlupenartig wirken, vergleichbar etwa zu Aku no hana – Die Blumen des Bösen, wo die Technik ebenfalls zum Einsatz kam, um einen etwas anderen Blick auf den Schüleralltag zu werfen. The Case of Hana & Alice ist da natürlich nicht annähernd so abgründig, sondern ein recht beschwingter Spaß, der im richtigen Moment aber auch emotional zupacken kann. Vor allem zum Ende hin, wenn die nicht auf den Mund gefallene Alice und die etwas verschlossenere, aber nicht minder eigenwillige Hana gemeinsame Sache machen, reiht sich ein Höhepunkt an den anderen.
Ein bisschen dauert es aber schon, bis der Film so weit kommt, die recht lange Wartezeit, bis Hana endlich Einzug in die Geschichte erfährt, ist nicht ganz so mitreißend, wie man es vom Vorgänger her kennt. Insgesamt bleibt aber ein sehr guter, ungewöhnlicher Anime, der mit seinen gemalten Hintergründen, dem sparsamen Einsatz von Computern und zuweilen sehr ungewöhnlichen Perspektiven auch optisch ein Ausrufezeichen setzt. Leider ist wie bei Hana & Alice ein Deutschland-Release derzeit nicht vorgesehen. Wer in der Nähe von Frankfurt a. M. lebt, sollte deshalb mal einen Abstecher dorthin machen, wo The Case of Hana & Alice im Rahmen des japanischen Filmfests Nippon Connection am 26. und 27. Mai gezeigt wird.
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