(„The Lobster“ directed by Yorgos Lanthimos, 2015)
Als David (Colin Farrell) von seiner langjährigen Ehefrau verlassen wird, ist das nicht nur traurig, sondern auch richtig gefährlich. Denn ein Singledasein ist in Zukunft streng untersagt. Zum Glück jedoch gibt es Institutionen, die sich darauf verstehen, einsamen Menschen zu einer neuen Liebe zu verhelfen. Das Hotel zum Beispiel. Dort treffen Leidensgenossen aufeinander, dürfen sich beim Essen oder auch Tanzveranstaltungen etwas näherkommen. Doch die Regeln sind hart. So ist Masturbation beispielsweise streng verboten. Und wer es nicht schafft, innerhalb von einer vorgesetzten Zeit, einen Partner oder eine Partnerin zu finden, der wird in ein Tier verwandelt und in den Wäldern ausgesetzt.
Mit seinem Drama Dogtooth über eine isoliert aufwachsende Familie wurde Yorgos Lanthimos zu einem Aushängeschild des neuen griechischen Kinos. Zwei Jahre später folgte das bizarre Trauerbewältigungsdrama Alpen, welches seinen Ruf als einer der aufregendsten und ungewöhnlichsten Regisseure der Gegenwart festigte. Und so laut muss dieser Ruf gewesen sein, dass er bis nach Hollywood reichte. Zumindest ist es beeindruckend, wie viele bekannte Schauspieler Lanthimos für sein englischsprachiges Debüt um sich scharen konnte: Rachel Weisz, Jessica Barden, Angeliki Papoulia, John C. Reilly und Ben Whishaw verkörpern weitere Hotelgäste, Olivia Colman die Hotelmanagerin, Léa Seydoux eine Widerstandskämpferin. Wer angesichts dieser Prominenz befürchtet, der Grieche könnte inhaltliche Kompromisse eingegangen sein, um ein größeres Publikum anzusprechen: Das tat er nicht. Vielmehr ist The Lobster einer der seltsamsten Filme, die einem in der letzten Zeit vor die Augen kamen.
Schon die Grundsituation – wer zu lange Single bleibt, wird in ein Tier verwandelt – lässt einen etwas an der geistigen Gesundheit von Lanthimos zweifeln. Und es ist nur der Auftakt zu einer fortlaufenden Ansammlung immer neuer Absurditäten. Die bestehen zum einen in den seltsamen Regeln, nach denen das Hotel funktioniert und die nie infrage gestellt werden. Und zum anderen in den Personen. Mit geradezu unheimlichem Ernst geht hier jeder zur Sache, seien es Betroffene oder auch Leute aus dem Umfeld, gelacht wird nie, wird die Situation auch noch so komisch. Gerade im Umfeld der Liebe, welche ja nach romantischen Vorstellungen die Grundlage ein jeder Beziehung bilden sollte, ist die ständig zur Schau getragene Emotionslosigkeit mehr als befremdlich.
Doch romantisch will The Lobster auch gar nicht sein. Im Gegenteil: Lanthimos nimmt in seinem nunmehr fünften Spielfilm eine Gesellschaft ins Visier, in der Partnerschaft auf eine Zweckmäßigkeit reduziert wird. Etwas, das man haben muss, aber nicht unbedingt will. Gefühle spielen dabei keine Rolle mehr, genauso wenig Individualität. Von David einmal abgesehen trägt in dem Film keiner einen Namen. Und wenn Menschen sich näherkommen, dann nicht aufgrund einer tieferen Verbindung, sondern weil völlig nebensächliche Eigenschaften übereinstimmen: ein hinkendes Bein, die Neigung zum Nasenbluten, vielleicht auch eine Gefühllosigkeit.
Doch der satirische Blick streift nicht nur die Anhänger von Auf-Teufel-komm-raus-Beziehungen, die ein Leben ohne als sinnlos brandmarken, sondern auch deren Gegner: militante Liebesverweigerer, die jede Form von Intimität ablehnen und einen absoluten Individualismus befürworten. Hinter dem grotesken Szenario und der surrealen Geschichte, welche vieles nie wirklich zu erklären versucht, finden sich also erstaunlich realitätsbezogene Kommentare über uns und unseren Umgang miteinander. Darüber was eine Beziehung eigentlich ausmacht. Oder auch nicht. Dass sich Lanthimos endgültiger Antworten enthält und ein sehr gemächliches Tempo vorlegt, macht den Beitrag der Fantasy Filmfest Nights 2016 zu einer nicht immer ganz einfachen, für manche sicher zu einer zu sperrigen, wenn nicht gar langweiligen Angelegenheit. Wer sich aber darauf einlässt, dass bei Lanthimos die Uhren etwas anders ticken, man sie vielleicht auch nicht immer lesen kann, der darf sich hier über einen bemerkenswerten Film freuen, der sehr viel mehr zum Thema beizutragen hat als ein Großteil der Liebeskomödien zusammen.
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