Demolition
© 20th Century Fox

Demolition – Lieben und Leben

(„Demolition“ directed by Jean-Marc Vallée, 2015)

Demolition
„Demolition – Lieben und Leben“ läuft ab 16. Juni im Kino

Und plötzlich war alles vorbei, ein Autounfall ist es, der Julia (Heather Lind) mitten aus dem Leben reißt. Während ihr Vater Phil (Chris Cooper) seinen Kummer durch die Einrichtung einer Stiftung bekämpft, die unter dem Namen seiner Tochter Jugendliche fördern soll, wird Julias Mann Davis (Jake Gyllenhaal) völlig aus der Bahn geworfen. Nicht weil der Kummer so groß wäre. Vielmehr erschreckt es den Investmentbanker, wie wenig er fühlt. Und so beginnt Davis sein Leben zu hinterfragen und in Briefen festzuhalten, die er dem Kundenservice einer Getränkeautomatenfirma schreibt – bis er dadurch die Kundenberaterin Karen (Naomi Watts) und deren Sohn Chris (Judah Lewis) kennenlernt.

In seinen letzten beiden Filmen Dallas Buyers Club und Der große Trip – Wild zeigte der kanadische Regisseur Jean-Marc Vallée seine Vorliebe für ungewöhnliche menschliche Schicksale wie auch ein Händchen, die dafür passenden Darsteller zu finden. In dem Aids-Drama verhalf er sowohl Matthew McConaughey wie auch Jared Leto zu Oscarehren, in dem Selbstfindungstrip reichte es immerhin für Nominierungen von Reese Witherspoon und Laura Dern. Dieses Mal steht kein reales Schicksal Vorbild. Fantastisch gespielt ist aber auch Demolition und schmerzhaft nahe am Leben dran, obwohl oder vielleicht auch weil hier nie so ganz klar wird, was denn eigentlich real ist.

Zufällig gewählt ist dieser Titel natürlich nicht, denn hier dreht sich alles um Zerstörung, negativer wie positiver Art. Man müsse alles auseinandernehmen, um zu sehen, wie etwas funktioniert, hat Davis einmal von seinem Schwiegervater aufgeschnappt. Und das tut er dann auch. Ob es nun der leckende Kühlschrank ist, das gesamte Haus, seine Gefühle für die verstorbene Frau oder auch sein Lebenskonzept – die Zerstörungswut kennt keine Grenzen. Während Phil jedoch eigentlich meinte, dass aus den Einzelteilen wieder eine funktionierende Einheit gebaut werden kann, funktioniert bei Davis danach nichts mehr. Der Kühlschrank nicht, er nicht. Eigentlich verliert er sogar alles, bricht den Kontakt zur Außenwelt ab, ist auch bei der Arbeit zu nichts mehr zu gebrauchen.

Wären da nicht Karen und Chris. Erstere hat selbst den Zugang verloren, steckt in einer langweiligen Beziehung, kommt nicht mehr an ihren rebellierenden Sohn ran. Letzterer teilt Davis’ Willen zur Zerstörung, will aus Wut und Unsicherheit alles um sich niederreißen, niederschreien, niederbrennen. Auch zwischen ihm und Davis gibt es eine Bindung, einige der schönsten Momente von Demolition gehen auf ihr gemeinsames Konto. Und doch ist der Film nicht das, was diese Zeilen hier vermuten lassen. Trauerarbeit, Selbstfindung und Außenseitertum, alles beliebte Mittel, um Zuschauer zu Tränen zu rühren. Aber die bleiben aus. Bei Davis. Beim Publikum. Herausfinden, wie etwas funktioniert, das ist sein erklärtes Ziel. Und findet doch keine Antwort. Ähnlich wie die Bestandteile der von ihm zerstörten Gegenstände verstreut und nichtssagend herumliegen, findet er in sich nur das Nichts. Eine der treffendsten und zugleich schockierendsten Szenen wartet recht früh bei der Trauerfeier Julias: David steht hier vor einem Spiegel, versucht eine weinende Mimik, um der Situation angemessen zu sein. Aber es gelingt ihm nicht, die Trauermaske hat nichts mit seinem Inneren zu tun.

Also alles nur Schauspiel? Ja, das kann frustrierend sein, für Zuschauer, die große Dramen erwarten. Und auch solche mit einem Bedürfnis nach Antworten. Denn die verweigert Demolition. Ob hinter den Zerstörungen tatsächliche Wut steckt, die Sehnsucht, feststeckende Gefühle wieder auszubrechen, oder eine reine Abscheu vor dem Leben, das er geführt hat, es wird nie so richtig klar. Und doch ist das Trauerdrama fesselnd und faszinierend, gewinnt dem bekannten Thema eine völlig neue Seite ab, die mal nüchtern-realistisch, dann wieder verträumt-skurril ist. Gerade durch die vielen auch kunstvoll gestalteten Flashbacks, welche Julia zurück ins Leben holen, ihr ein Profil geben, wirkt der sehr episodenhafte Film wie aus einer anderen Welt. Zusammengehalten wird die nur wenig fassbare Geschichte durch Gyllenhaal, dessen Minimalismus immer mal wieder explodiert und der für seine mitreißende Darstellung durchaus auch eine Oscarnominierung verdient hätte. So weit wird es aber eher nicht kommen, dafür ist die Verweigerungshaltung von Demolition zu groß. Nur zum Ende hin wollte man sich den Bedürfnissen der Zuschauer wohl öffnen, so scheint es, und begann deshalb auch emotional auf alles und jeden einzuschlagen. Glücklich ist die Wendung nicht, das unglaublich dick aufgetragene Finale passt weder zum Rest des bewusst ruhigen Films, noch ist es irgendwie glaubwürdig. Dem Ärger trotzend bleibt aber ein Drama, das vielleicht nicht zu den besten des Jahres zählen wird, aber doch zu den ungewöhnlichsten und als emotionale Selbstsuche mehr als sehenswert ist.



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„Demolition“ verweigert sich den üblichen Szenen und Mechanismen von Trauerdramen, präsentiert stattdessen einen ungewöhnlichen und destruktiven Selbstfindungstrip, der vom übertriebenen Finale abgesehen, gleichzeitig sehr ruhig und distanziert und doch wieder auch bewegend und fesselnd ist.
7
von 10