(„Die Abenteuer des Prinzen Achmed“ durected by Lotte Reiniger, 1926)
Unser fortlaufendes Animationsspecial geht in die 111. Runde. Und wie immer bei einer derart besonderen Zahl muss es dann auch ein besonderer Titel sein. Mit einem solchen haben wir es diesmal dann auch definitiv zu tun, sowohl in historischer wie auch in visueller Hinsicht.
Im Leben des Prinzen Achmed geht es schon seit Längerem drunter und drüber. Erst luchst er einem mächtigen Zauberer ein fliegendes Pferd ab, dann landet er bei dem Versuch, dieses zu steuern, auf einer weit entfernten Insel. Immerhin, einsam ist er dort nicht, macht er doch die Bekanntschaft der schönen Pari Banu, welche er mit nach China nimmt. Ruhe findet er aber auch im fernen Osten nicht, schließlich ist nach wie vor der Zauberer hinter ihm her. Und auch die Dämonen der Insel sind ihm auf den Fersen, wollen sie doch ihre Pari Banu zurück – es sollen nicht die letzten Abenteuer sein, der der Prinz zu überstehen hat.
Wenn an frühe Animationsfilme gedacht wird, kommt einem fast immer Schneewittchen und die sieben Zwerge von 1937 in den Sinn. Unverdient ist das nicht, bildete der erste abendfüllende Zeichentrickfilm der Walt Disney Studios nicht nur der Grundstein für den Mäusekonzern, sondern auch für die gesamte Trickfilmbranche allgemein und gilt heute als einer der großen Klassiker schlechthin. Sehr viel weniger bekannt, zumindest bei der breiten Bevölkerung, ist ein Film, der mehr als ein Jahrzehnt zuvor erschienen war und somit der früheste heute noch erhaltene längere Animationsfilm. Die Abenteuer des Prinzen Achmed heißt er und entstammt keinem der großen US-Studios, sondern einer Deutschen, genauer der Künstlerin Lotte Reiniger.
Doch obwohl Reiniger wie auch Disney für ihre Meisterwerke auf bekannte Märchenvorlagen zurückgriffen – bei Die Abenteuer des Prinzen Achmed stand „Tausendundeine Nacht“ Pate –, wirklich vergleichbar sind die beiden nicht. Warum, das wird auf den ersten Blick klar. Während die Amerikaner bei ihrer Animationsversion auf die später dominierende Zeichentricktechnik vertrauten, bediente sich Reiniger des Spiels mit Silhouetten. Aus Pappe schnitt sie Figuren, welche sie mithilfe des Stop-Motion-Verfahrens animierte. Dieses ist heute eher selten geworden, vor allem dank der beiden Studios Aardman Animations (Shaun das Schaf – Der Film, Chicken Run) und Laika (Coraline, ParaNorman) aber noch immer für Kassenerfolge gut. Anders als dort sieht man hier jedoch nicht die Figuren selbst, sondern quasi nur deren Schatten, wurden die Charaktere doch aus schwarzem Photokarton gefertigt und anschließend durch Drähte bewegt.
Details bleiben bei derartigen Silhouettenspielen natürlich auf der Strecke, auch Mimiken sind auf diese Weise kein Thema, zudem ist den Figuren in dem Stummfilm naturgemäß die Sprache vergönnt. Und doch ist Die Abenteuer des Prinzen Achmed ein ungemein ausdrucksstarkes Werk, das allein durch das Zusammenspiel von Farben, Musik und Formen seine Geschichte erzählt. Die ist, der Vorlage gemäß, eher schlichter Natur, würde trotz der auf fünf Akte verteilten zahlreichen Fäden heute wohl nicht mehr so richtig fesseln. Die unglaubliche Atmosphäre, die allein auch schon aufgrund der dunklen Bilder oft etwas Unheimliches an sich hat, überschattet den Inhalt aber so sehr – wortwörtlich –, dass Letzterer ohnehin nur noch eine kleine Rolle spielt, der Film ist in erster Linie ein Kunstwerk.
Dass dieses auch 90 Jahre nach der Vollendung noch einen solchen Zauber ausüben kann, zeigt, mit welch ungewöhnlicher Vision die gebürtige Berlinerin hier zu Werke gegangen ist. Und mit welcher Mühe: Drei Jahre arbeitete sie daran, etwa 250.000 Einzelaufnahmen waren währenddessen entstanden. Die Qualität der Animationen schwankt beim fertigen Ergebnis mitunter zwar ein wenig, manche Szenen sind sehr ruckartig ausgeführt, andere dafür von einer unwirklichen Geschmeidigkeit. Die originellen Effekte und die nahtlosen Übergänge bei den Transformationen, gerade auch bei dem Endkampf, welcher als Inspiration für Disneys Die Hexe und der Zauberer diente, nehmen einen aber noch immer mit auf eine Reise in eine fremde Welt: In Die Abenteuer des Prinzen Achmed gibt es weder Zeit noch Ort, sondern nur einen fortwährenden, seltsamen Traum, der einen alles und jeden vergessen lässt.
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