(„Kabushiki gaisha Shirubā Rinku“ directed by Shin Ōnuma, 2012)
Andere Schüler konzentrieren sich in ihren Clubaktivitäten vielleicht auf Sport oder künstlerische Bereiche wie Theater oder Literatur. Teiichi, Yūko, Momoe und Kirie haben sich da eine ungleich seltenere und ungewöhnlichere Freizeitbeschäftigung ausgesucht: Sie gehen auf Geisterjagd! Das ist erstaunlich produktiv sogar, da die Seikyō-Privatschule Gerüchten zufolge nicht wenige dieser übernatürlichen Wesen beherbergt. Eines davon ist Yūko selbst, die vor 60 Jahren bereits verstorben ist, sich an die Umstände ihres Todes jedoch nicht erinnern kann und irgendwie nicht von ihrer alten Schule lassen kann.
Dusk Maiden of Amnesia ist eine dieser seltenen Animeserien, die es so eigentlich gar nicht geben dürfte. Eine, die eine ganze Reihe formelhafter Elemente und Klischees verwendet, sie aber so eigenwillig zusammensetzt, dass am Ende doch etwas anderes dabei herauskommt. Zunächst einmal scheint die Adaption eines Mangas von Maybe nicht viel mehr als einer der unzähligen, ewig gleich lautenden Harem-Geschichten zu sein, vor denen es in diesem Bereich kein Entkommen mehr gibt. Der Ort ist eine Schule, der Protagonist ein etwas unbedarfter Jüngling, der gleich von drei hübschen Mädels umringt ist. An diversen Stellen ist das Ergebnis dann auch so, wie man es erwarten kann, wäre da nicht der Umstand, dass Yūko eben tot ist, was zu etwas originelleren Abwandlungen der bekannten Szenen führt. Teiichi kann als einer der wenigen die Verstorbene nicht nur sehen, sondern manchmal auch ein bisschen an ihr fummeln – versehentlich, versteht sich.
Und doch ist Dusk Maiden of Amnesia keine weitere übersinnliche Erotikdümmlichkeit à la High School DxD oder Demon King Daimao, sondern eine tatsächlich interessante Mischung aus Komödie, Romanze und Horror. Spannend ist das aus zwei Gründen: Keiner weiß so genau, woran Yūko vor einigen Jahrzehnten eigentlich gestorben ist, sie eingeschlossen. Und hier deutet sich relativ bald schon an, dass das damals nicht mit rechten Dingen zu sich ging. Die Serie widmet dann auch viel Zeit der Spurensuche, die zum Ende hin tatsächlich von einer recht verstörenden Antwort belohnt wird. Außerdem ist der vergessliche Geist nicht das einzige übernatürliche Wesen, welches an der Schule umhergeht: Bald gesellt sich noch ein Phantom mit offensichtlich bösartigen Absichten hinzu, was immer wieder schön schaurige Gruselmomente typisch japanischer Machart nach sich zieht.
Und als wäre das nicht genug, hat die Serie noch zahlreiche gelungene humorvolle Momente vorzuweisen. So kann beispielsweise die etwas weltfremde Momoe als einzige Yūko nicht sehen, was immer wieder missverständliche und eben auch komische Situationen zur Folge hat. Zum Ende hin konzentriert sich Dusk Maiden of Amnesia dann doch eher auf die Romanze, fährt den Witz- und Gruselpegel etwas nach unten, nutzt dafür lieber das dramatische Potenzial der Figurenkonstellation. Ein Junge und eine Tote, die sich unsterblich ineinander verlieben? Da sind die Zukunftsaussichten naturgemäß eher bescheiden. Aufgelockert wird die tragische Beziehung durch einige fast schon philosophische Überlegungen, in denen die Bedeutung von Erinnerungen gerade auch im Zusammenhang mit der eigenen Persönlichkeit thematisiert wird. Die Comic-Adaption bietet also von allem ein bisschen, hier weiß man nicht so recht, welche Richtung wohl als nächstes eingeschlagen wird. Dieser finster-bunt leuchtende Strauß klappt in der zweiten Hälfte nicht mehr ganz so gut wie noch zu Beginn, die Mischung aus lustig, rührend und spannend ist aber so kurios, dass man gelegentliche Qualitätsschwankungen in Kauf nimmt.
Vor allem, wenn man Animes auch der Bilder wegen schaut, denn die Verpackung der Serie steht ihrem Inhalt in punkto Variantenreichtum in nichts nach: Wie das Studio Silver Link (Fate/Kaleid liner Prisma Illya, Chaos Dragon) hier mit verschiedenen Perspektiven, Bildausschnitten und unwirklichen Farbexplosionen experimentiert, das ist eines der optisch kreativsten Beispiele japanischer Zeichentrickkunst der letzten Zeit. Hübsch im eigentlichen Sinn ist der Anime vielleicht nicht, dafür aber sehr abwechslungsreich: Da werden schon einmal Figuren verfremdet, zwischendrin gibt es auch atmosphärische Sequenzen in Tintenoptik. Allein deshalb schon ist Dusk Maiden of Amnesia sehenswert, bietet neben dem kürzlich veröffentlichten Love, Chunibyo & Other Delusions den Beweis, dass Romantic Comedies im Animebereich sehr viel einfallsreicher als sein können als ihr Ruf.
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