High-Rise
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(„High-Rise“ directed by Ben Wheatley, 2015)

High-Rise
„High-Rise“ läuft ab 30. Juni im Kino

Wer erst einmal in dem von dem visionären Architekten Anthony Royal (Jeremy Irons) entworfenen Hochhaus einzieht, findet nur wenige Gründe, dieses wieder zu verlassen. Wozu auch, wenn der Wolkenkratzer alles beinhaltet, was man zum Leben braucht, darunter Sportmöglichkeiten und einen eigenen Supermarkt? Getrübt wird dieses Vergnügen jedoch durch eine strenge Hierarchie: Je weiter oben man wohnt, umso höher ist auch das Ansehen und der gesellschaftliche Status. Das stellt auch Dr. Robert Laing (Tom Hiddleston) fest, der seit Kurzem in dem mittleren Bereich des Komplexes wohnt und damit Kontakt sowohl zu den höheren wie unteren Gesellschaften hat. Und in Letzteren rumort es kräftig: Dokumentarfilmer Wilder (Luke Evans), der mit seiner hochschwangeren Frau Helen (Elizabeth Moss) zum niederen Fußvolk gehört, will nicht länger die Klassenunterschiede und Ungerechtigkeiten akzeptieren, welche hier an der Tagesordnung sind.

Groß ist das Gesamtwerk von Ben Wheatley ja nicht, dafür aber eines, das man nicht so leicht vergisst. Zuletzt etwa schickte der englische Regisseur und Drehbuchautor in Sightseers ein Pärchen auf einen mörderischen Rundtrip, verstörte anschließend in dem schwarzweißen Geschichtsthriller A Field in England. Und so durfte er sich bei seinem fünften Film trotz überschaubarer kommerzieller Erfolge auch mit allerhand berühmten Namen schmücken: Nicht nur, dass bemerkenswert viele bekannte Darsteller in seinem neuesten Werk mitmachen, der Film basiert zudem auf einem Kultbuch des Science-Fiction-Autors J. G. Ballard (Crash), das über 40 Jahren erschienen ist und seither auch bereits adaptiert werden sollte.

Als Science Fiction könnte man High-Rise dann auch bezeichnen, wenn es denn unbedingt ein Genre braucht, des zukünftigen Szenarios wegen. Aber wie schon zuvor bei Wheatley wäre das nur eine halbe Wahrheit, vielleicht sogar nur ein Viertel davon – wirkliche Schubladen scheint es in dem Haus des Engländers nicht zu geben. Mal flirtet er hier mit dem Thriller, gibt sich dann satirischen Momenten hin. Man könnte das Ganze aber auch Drama oder Horror nennen und wäre ebenso nah dran und weit entfernt wie bei den anderen Versuchen, den Film zu fassen zu bekommen. Und das gilt auch für die Figuren: Hier tauchen so viele Menschen auf, die mal interagieren, mal auch nur aneinander vorbei zu existieren scheinen, dass es gar nicht so einfach ist, immer den Überblick zu behalten. Charlotte (Sienna Miller) beispielsweise, mit der Laing bald eine leidenschaftliche Affäre beginnt, hat zwar auch eine Beziehung nach oben, spielt aber dennoch keine Rolle, ist Teil des Geschehens und doch außen vor.

Anders als bei den letzten beiden Filmen von Wheatley stört die umhereifernde Ziellosigkeit hier jedoch gar nicht mal so sehr. Zum einen hat er sein überaus geschicktes Händchen für stilvolle Inszenierungen noch weiter verfeinert. Wenn hier rauschend-groteske Feiern auf Rumpelkammerwohnungen treffen, ein Schwimmbad zum spontanen Ort des Klassenkampfs wird, zwischendrin auch mal eine hypnotische Portishead-Version des ABBA-Klassikers „S.O.S.“ durch das labyrinthartige Gebäude wabert, dann ist das ein derart surreales Sinneserlebnis, dass man viel zu fasziniert ist, um die fehlenden roten Fäden noch wirklich wahrnehmen zu können.

Zum anderen ist das Szenario deutlich reizvoller als noch zuvor. Wie im Beitrag der Fantasy Filmfest Nights 2016 Rebellion gegen die Oberen und eine zunehmende Anarchie mit einer Zerstörungswut und einem auseinanderbrechenden Schauplatz einhergehen, dann mutet das wie eine Mischung aus Snowpiercer und Kafkas Der Bau an: Die Gewaltspirale steigt, das Chaos auch, immer wenn man denkt, man hätte den Tiefpunkt der menschlichen Zivilisation erreicht, durchbricht ihn der Film noch einmal nach unten. Und während wir noch im Rausch dem Abgrund entgegentanzen, gibt es zwischendrin auch immer wieder spannende Figurenkonstellation, etwa bei Munrow (Augustus Prew), der als Student Laing untergeordnet ist, dafür im Hochhaus weiter oben angesiedelt ist. Es sind Details wie diese, die zusammen mit der mitreißenden audiovisuellen Umsetzung und der unwirklichen Atmosphäre das traumartige High-Rise vielleicht nicht zu einem der gehaltvollsten Filme dieses Jahres machen, aber doch zu einem, dem man sich kaum entziehen kann.



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Style over substance sowie eine konsequente Verneinung von Genregrenzen – so kennen wie Ben Wheatley. Und das gilt dann auch für seine Literaturverfilmung „High-Rise“, das einen dystopischen Klassenkampf und eine mitreißende Inszenierung zu einem traumartigen Sinneserlebnis werden lässt.
8
von 10