(„Abenobashi Mahō Shōtengai“ directed by Hiroyuki Yamaga and Masayuki Kojima, 2002)
Wie verrückt unser Arbeitsalltag sein kann, das zeigte uns letzte Woche die Comic-Adaption Dilbert. Aber auch das ist relativ, wie wir im 110. Teil unseres fortlaufenden Animationsspecials sehen können, welcher zu den wahnwitzigsten Beispielen japanischer Zeichentrickkunst zählt.
Früher, da war Abenobashi noch ein viel besuchtes Einkaufsviertel in Osaka. Doch von dem Ruhm vergangener Tage ist nicht mehr viel übrig: Die Häuser verfallen, werden abgerissen, die Menschen ziehen weg. Auch die 12-jährige Arumi wird wohl nicht mehr lange bleiben, ihr Vater hat angekündigt, das alte Familienrestaurant zu schließen und nach Hokkaido zu ziehen. Deren Schulfreund Sasshi ist nicht sehr glücklich darüber. Und wären er und Arumi nicht plötzlich auf unerklärliche Weise in einer seltsamen Fantasywelt gelandet, würde er darüber vielleicht sogar nachdenken. So aber gilt es erst einmal herauszufinden, wie die beiden denn nun zurück nach Osaka finden. Was nicht einfach ist, denn jeder Versuch, in die richtige Welt zurückzukehren führt sie an neue, immer verrücktere Orte.
Wirklich hoch war der Output des japanischen Animationsstudios Gainax ja nie gewesen: Alle Serien, Filme und Direct-to-Video-Produktionen zusammengezählt, kommt man auf etwa 40 Stück. Nicht viel, wenn man seit 25 Jahren im Animegeschäft mitmischt und sich zudem oft mit anderen Studios zusammenschließen musste, um überhaupt etwas auf die Beine zu stellen. Dafür finden sich viele Klassiker, mindestens aber Kultwerke darunter. Ob sie nun das Mecha-Genre auseinandernehmen (Neon Genesis Evangelion, Gurren Lagann), eine der witzigsten Liebesgeschichten erzählen (Kare Kano) oder in FLCL auf absurde Weise Rockmusik und Science Fiction kombinieren, Gainax tauchte immer mal wieder in Diskussionen auf, wenn es um etwas andere Anime geht. Und das trifft auch auf Magical Shopping Arcade Abenobashi zu, obwohl – oder vielleicht auch weil – die Serie eine Art Quintessenz von Animes darstellt.
13 Folgen umfasst die TV-Produktion und spielt in fast ebenso vielen Welten. Das Besondere dabei ist, dass sie alle irgendwo zusammenhängen und Gemeinsamkeiten aufweisen, dabei aber völlig unterschiedlich sind. Mal sind die beiden in besagter Fantasy-Welt unterwegs, dann wieder in einer Zukunftsversion, reisen zurück ins alte Japan oder treffen eine Horde Dinosaurier. Für visuelle Abwechslung ist also gesorgt, umso mehr da Gainax und der Animations-Kooperationspartner Madhouse (The Tatami Galaxy, Paranoia Agent) auch kräftig mit den Stilen experimentieren: Selbst wenn es eigentlich immer dieselben Protagonisten sind, die in den verschiedenen Alternativwelten auftreten, so sehen sie je nach Zusammenhang teils recht unterschiedlich aus, Zeichenstile und Designs können immer mal wieder variieren.
Der jeweilige Zusammenhang ist dabei den unterschiedlichsten Facetten der japanischen Popkultur entnommen und mit Anspielungen und Querverweisen überladen. Am meisten Spaß macht Magical Shopping Arcade Abenobashi dann dem, der die Quellen wiedererkennt. Die Gemeinsamkeiten der in Episode zwei gezeigten Fantasywelt und Dragon Quest sind beispielsweise kaum zu übersehen, als nächstes gibt es klare Verweise zu den 70er-Jahre-Sci-Fi-Animes Goldorak und Captain Harlock, gegen Ende der Serie dürfen sich Filmfans daran versuchen, die vielen Easter Eggs zu entdecken und zuzuordnen. Wer mit den Vorbildern nichts anfangen kann, für den geht bei den zahlreichen Parodien natürlich einiges verloren, darf sich aber immerhin noch über die vielen völlig durchgeknallten Ideen und Szenarien freuen. Aber auch Anhänger eines etwas derberen Humors, der an diversen Stellen auch vor Fanservice nicht Halt macht, bekommen hier einiges zu sehen.
Das dürfte manchmal etwas abwechslungsreicher sein, die Witze kommen oft nicht an die Kreativität der Meta-Szenarien heran. Aber Magical Shopping Arcade Abenobashi ist eben auch mehr als nur eine Komödie. Zur Mitte der Serie hin entdeckt die Serie deutlich dramatischere, aber auch nachdenklichere Seiten in sich; der Anime ist nun nicht mehr eine rein parodistische Nabelschau, sondern gewinnt unerwartete Coming-of-Age-Qualitäten und erzählt von den Schwierigkeiten auf dem Weg ins erwachsenenalter. Das wird letzten Endes nicht ganz so konsequent durchgezogen, originell ist die Genremischung aber auf jeden Fall, selbst 14 Jahre später noch ein guter Tipp für Fans etwas ungewöhnlicher Animationsgeschichten. Schön daher, dass der Serie kürzlich eine Neuauflage spendiert wurde, jetzt auch das erste Mal auf Blu-ray erhältlich ist und die absurden Szenarien in einem neuen, modernen Glanz erstrahlen.
(Anzeige)