(„Dheepan“ directed by Jacques Audiard, 2015)
In Sri Lanka herrscht noch immer Bürgerkrieg, immer mehr Menschen versuchen dem Terror und Blutvergießen zu entkommen, indem sie nach Europa auswandern. So auch Dheepan (Jesuthasan Antonythasan), seine Frau Yalini (Kalieaswari Srinivasan) und Illayaal (Claudine Vinasithamby). Zumindest auf dem Papier, denn in Wahrheit kennen sich die drei nicht, haben falsche Identitäten angenommen, um in Frankreich bessere Chancen zu haben. Der Plan geht tatsächlich auf: Nicht nur dass sie Asyl bekommen, ihnen wird auch eine kleine Wohnung zugewiesen, Dheepan darf als Hausmeister einer Wohnsiedlung Geld verdienen. Zumindest anfangs scheint sich auch alles dem Guten zuzuwenden. Doch immer wieder werden sie von der Vergangenheit eingeholt und das vermeintliche Paradies entpuppt sich als ebenso gefährlich wie die alte Heimat.
Leichte Stoffe? Dafür ist Jacques Audiard eher weniger bekannt. Nachdem er zuletzt in Ein Prophet von der hässlichen Knastkarriere eines Jungverbrechers erzählte, sich anschließend in Der Geschmack von Rost und Knochen dem schwierigen Neuanfang einer Beinamputierten widmete, nimmt er sich dieses Mal eines Themas an, wie es aktueller kaum sein könnte: die Flüchtlingsproblematik. Zwar kommen seine Protagonisten nicht aus den üblichen Ländern wie Syrien oder Irak, sondern der gern vergessenen Insel Sri Lanka, doch was der französische Regisseur und Drehbuchautor in Dämonen und Wunder – Dheepan zu zeigen hat, das ist von einer erschütternden Universalität.
Ja, es gibt sie, die kleinen im Titel angesprochenen Wunder. Wenn sich die drei Fremden nach und nach annähern, Yalini einen kleinen Job bekommt sowie für sie unerwartet freundliche Worte von Auftraggeber Brahim (Vincent Rottiers). Illayaal wiederum darf immerhin ihre Französischkenntnisse aufbessern und so langsam den Platz finden, nach dem sie sich so sehr sehnt. Einfach macht es Audiard einem dabei aber nicht, weder den Zuschauern, noch den Protagonisten. Gerade zu Beginn sind die Versuche auf ein neues Leben mit vielen Hindernissen und auch Demütigungen verbunden. Denn an Dämonen mangelt es nicht in dem Flüchtlingsdrama: zynische Schleuser, die mit der Not der Bevölkerung Geld machen. Überforderte Behörden. Ein im Stich gelassenes Ghetto, in dem Verbrecher ungestört ihren Geschäften nachgehen. Und natürlich der Bürgerkrieg in Sri Lanka, der gerade in Dheepan schwere Traumata hinterlassen hat.
Wie zuletzt auch in Der Geschmack von Rost und Knochen übernimmt sich Audiard dabei auch wenig. So eindrucksvoll sein Film auch geworden ist, viele Elemente werden nur kurz eingeführt und danach gleich wieder vergessen, obwohl sie nicht völlig zu Ende erzählt wurden. Illayaals Schicksal an der Schule beispielsweise wird später komplett verschwiegen, eine Szene, in der sie sich nach Anschluss sehnt, bleibt eine Momentaufnahme. Und auch die Schatten des Krieges, die unvermittelt in Dheepans neuer Heimat wieder auftauchen, scheinen keine echte Rolle zu haben. Vor allem aber der Schluss, der seine Dramawurzeln völlig entreißt und stattdessen zu einem Gangsterthriller mutiert, will irgendwie nicht so recht zu dem sonst sehr ruhigen Film passen.
Und doch ist Dämonen und Wunder – Dheepan wie auch Audiards letzten Werke sehr sehenswert geworden: Im Laufe von knapp zwei Stunden zaubert er so viele erdrückende wie ergreifende Momente aus seiner bewusst schäbigen Wundertüte, dass er mehr für Flüchtlinge tut als die ganzen Fernsehdebatten. Wo andere sich in abstrakte Zahlen und konfuse Bilder flüchten, zeigt der hierfür mit der Goldenen Palme von Cannes ausgezeichnete Filmemacher, was es eigentlich heißt, alles zu verlieren und sich in der Fremde selbst finden zu müssen – was alle drei auf unterschiedliche Art und Weise tun. Dass Audiard dabei zusätzlich viel auf Laienschauspieler setzt, seinen Film in einem Tamil-Französisch-Kauderwelsch gedreht hat und dabei sein gewohntes Talent für unglaubliche Bilder unter Beweis stellt, unterstützt die große, authentisch anmutende Wirkung: Dämonen und Wunder – Dheepan ist vielleicht nicht ganz rund, aber eine insgesamt doch kraftvolle Auseinandersetzung mit einem ebenso wichtigen wie schwierigen Thema.
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