Die langen großen Ferien
© polyband

(„Les Grandes Grandes Vacances“ directed by Paul Leluc, 2015)

Die langen grossen Ferien
„Die langen großen Ferien“ ist seit 24. Juni auf DVD erhältlich

Nach dem melancholischen Horror von Mushi-Shi vergangene Woche geht es heute nicht minder schrecklich weiter. Anders als die Fantasyserie basiert der 115. Teil unseres fortlaufenden Animationsspecials aber auf wahren Begebenheiten und bringt seinem jungen Zielpublikum ein schwieriges Thema behutsam, aber doch bestimmt näher.

Ein kurzer Sommerurlaub hätte es eigentlich sein sollen, am Ende wurden es Jahre. Als Ernest (10) und Colette (6) 1939 mit ihren Eltern die Großeltern auf dem Land besuchen, herrscht überall eine angespannte Atmosphäre. Mit Sorge beobachten die Franzosen, wie sich Deutschland immer größere Teile Europas einverleibt. Und tatsächlich: Kurze Zeit drauf befinden sich die beiden Nachbarn im Krieg. Während der Vater der beiden an die Front muss, wird die schwer kranke Mutter in die Schweiz geschickt. Die Kinder sollen jedoch auf dem Land bleiben, wo es sicherer für sie wäre. Aber auch sie werden im Dorf bald furchtbare Veränderungen miterleben.

Kindern mithilfe von Zeichentrickgeschichten anspruchsvolle Themen näherbringen, das ist kein ganz neuer Einfall. Es war einmal … das Leben erklärte beispielsweise vor 30 Jahren schon seinen jungen Zuschauern, wie der menschliche Körper eigentlich funktioniert. Sich auf diese Weise dem Zweiten Weltkrieg anzunähern, das ist dann aber doch noch ein etwas anderes Kaliber. Eines, das mit vielen Fragen einhergeht. Wie viel zeige ich? Was kann ich zumuten? Welche Hintergrundinformationen sind nötig? Die Balance zwischen den Schrecken des Krieges und der Empfindsamkeit von Kindern zu finden, das ist eine nicht ganz einfache Aufgabe.

Die französische Serie Die langen großen Ferien meistert diese Aufgabe, sehr gut sogar. Anders als die meisten Versuche, Kindern den Zweiten Weltkrieg zu erklären, wird hier nicht das Wissen von oben nach unten durchgereicht. Stattdessen sind es die Kinder selbst, die sich das Thema im täglichen Umgang miteinander aneignen und wir durch deren Augen gleich mit. Manche Erfahrungen machen sie selbst, andere beobachten sie nur. Aber selbst dann sind die nahe genug, um Wirkung zu zeigen, durch den persönlichen Zugang ist der Kriegsschrecken kein diffuses Abstraktum, sondern begreif- und erfühlbar. Statt nackter Zahlen sind es tatsächliche Menschen, durch die vermittelt wird, was damals alles passiert ist.

Natürlich hielt man sich bei der Darstellung etwas zurück. Hier werden keine Körper in Stücke gerissen, auch den Protagonisten passiert nichts, viele der furchtbaren Erfahrungen werden nicht direkt gezeigt – eine ähnlich traumatische Erfahrung wie Unten am Fluss ist Die langen großen Ferien dann doch nicht. Ansonsten aber ist es bemerkenswert, wie viele Themen tatsächlich ihren Weg in die Geschichte finden: der Verlust von Angehörigen, Judendeportation, Schlachten, Diskriminierung. An einer Stelle verliert sogar ein Mitschüler sein Leben, als er am Strand spielen möchte und dabei auf eine Tretmine tritt. Bemerkenswert ist auch, wie natürlich diese Elemente eingebaut und mit der Erinnerung an Kindheitstage verknüpft wurden. Die langen großen Ferien, das ist gleichzeitig Kriegsdrama wie Coming of Age, erzählt teilweise mit Humor von einer Gruppe von Kindern, die beste Freunde werden, langsam erwachsen werden und Verantwortung übernehmen.

Dass dabei trotz des düsteren Settings und des spannenden Finales einiges idealisiert wird, ist ein zu vernachlässigender Makel. Ebenso die mangelnde Ambition, die vergehenden Jahre auch optisch widerspiegeln zu lassen – ein Mädchen sollte mit 11 dann doch anders aussehen als mit 6. Ansonsten aber macht Die langen großen Ferien auch der Bilder wegen Spaß. Das französische Animationsstudio Les Armateurs, welches unter anderem an den oscarnominierten Filmen Das große Rennen von Belleville, Das Geheimnis von Kells und Ernest & Célestine mitgewirkt hat, wählte hier einen Look, der typisch französisch und mit viel Retrocharme versehen ist, Colettes Erinnerungen wie aus einer anderen Zeit wirken lässt. So als ob ein Comicband von „Tim und Struppi“ animiert worden wäre, nur mit moderner Technik versehen. Insgesamt ist die Serie daher eine runde Sache, die sich zwar eher an Kinder richtet, bei der man sich als Erwachsener aber problemlos dazusetzen kann.



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Einfühlsam, zum Schluss spannend, vereinzelt humorvoll und vor allem aufschlussreich: Die französische Zeichentrickserie „Die langen großen Ferien“ gelingt es sehr schön, dem jungen Zielpublikum die Schrecken des Zweiten Weltkrieges näherzubringen. Das ist vereinzelt natürlich idealisiert, insgesamt aber eine inhaltlich wie optisch gelungene Mischung aus Kriegsdrama und Coming of Age.
8
von 10