(„H.“ directed by Rania Attieh, Daniel Garcia, 2014)
Langjährige Besucher des Fantasy Filmfest sind meistens etwas härter im Nehmen, wenn es um sonderbare Filme geht, ein bisschen Mindfuck hat schließlich noch niemandem geschadet. Aber selbst diese dürften sich letzten Sommer ausgiebig am Kopf gekratzt haben, als nach gut anderthalb Stunden die Credits von H. über die Leinwand liefen. Das beginnt schon damit, dass man hier nur schwer eine Inhaltsangabe machen kann. Nicht weil bei der amerikanisch-argentinischen Koproduktion nichts passieren würde. Eigentlich passiert hier ständig etwas. Man weiß nur nicht was.
Zwei Frauen sind, um die sich der Film dreht, die beide auf den Namen Helen hören und in der Stadt Troy in New York leben. Die ältere, gespielt von Robin Bartlett, ist eine überaus fürsorgliche Mutter, die sich nachts den Wecker stellt, um Baby Henry zu füttern. Nur dass Henry kein Mensch ist, sondern eine lebensechte Puppe. Die jüngere Helen (Rebecca Dayan) wird bald selbst ein Baby in den Armen halten, ein echtes sogar in ihrem Fall. Sehr viel normaler ist ihr Leben aber auch nicht. Geräte, die ständig tropfen, eine aufgehobene Schwerkraft, Menschen verschwinden spurlos – da geht etwas nicht mit rechten Dingen zu in Troy.
Helen und Troy, das ist die englische Fassung von Helena und Troja. Da darf man natürlich Parallelen zur berühmten Legende ziehen, umso mehr wenn riesige Steinköpfe im Fluss treiben und die vier Abschnitte des Films mit römischen Zahlen unterteilt werden. Nicht dass man das unmittelbar in einen Zusammenhang stellen könnte, Zusammenhänge sind aber ohnehin in H. eher Mangelware. Immer wenn man denkt, man hätte eventuell doch etwas verstanden, als würden die Puzzleteile sich zusammenfügen, taucht ein neues auf, das nicht reinpasst. Von dem man nicht einmal sagen kann, ob es nicht aus einer fremden Schachtel stammt.
Das ist frustrierend, kann es zumindest sein, wenn man an einen Film den Anspruch erhebt, dass er Geschichte, Struktur, Anfang und Ende hat. All diese Konzepte funktionieren hier kaum. Man könnte die vielen Einzelmomente auch herauslösen, anders wieder anordnen und würde nicht mehr oder weniger verstehen. Normalerweise wäre das auch durchaus ein Kritikpunkt. Nur dass H. sich konsequent der Normalität entzieht. Gewissermaßen. Denn das Regie- und Drehbuchduo Rania Attieh und Daniel Garcia schafft den bemerkenswerten Spagat, gleichzeitig realistisch und surreal zu sein. Nur wenig ist hier so übertrieben, dass man es guten Gewissens in die Fantasyschublade stecken würde. Man hat sogar durchaus das Gefühl, realen Menschen zuzusehen – was angesichts ihrer Erlebnisse nicht selbstverständlich ist. Es ist ein wenig so, als würde man träumen, ohne zu merken, dass man träumt, und in den Träumen Elemente vereinen, die unvereinbar sein sollten.
Zusammengehalten wird das Ganze von den guten Leistungen der beiden Darstellerinnen und auch der fantastischen Atmosphäre. Auch wenn man letztendlich nicht genau weiß warum, so hat man hier doch ständig das Gefühl, das Ende der Welt würde unmittelbar bevorstehen. Zwar gibt es hier das Bild der Geburt, das dem unheilvollen Winterwunderland irgendwie entgegenwirkt, mit viel Hoffnung erfüllt einen das aber nicht. Denn eigentlich ist die Welt von H. keine, die man anderen wünscht: Streit, Vereinsamung, Desinteresse, die Sehnsucht nach einer Aufgabe und einem Sinn – gerade die bizarre Liebe der älteren Helen zu der Puppe hat etwas Tieftrauriges an sich. Es ist dann auch diese Mischung aus Düsterkeit und Melancholie, welche den Film trotz seines wenig greifbaren Inhalts so sehenswert macht, einen immer tiefer hineinzieht, bis man schließlich zu ertrinken droht. Insofern bleibt zu hoffen, dass diese kleine Sonderbarkeit trotz geringer Marktchancen irgendwann auch auf DVD veröffentlicht wird.
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